Alternative Suns
Emma Adler
Neuer Kunstverein Gießen
13–12–2019
by Alice Chardenet

Emma Adler, SUPERFLARE (S.S/imulator), 2019, Philips HB 546/A, aluminium varnish, pigeon protection, varnish material, textile, printed, effect foil, Red Bull cans, UV marker, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

Alice Chardenet Hallo Emma, es freut mich mit dir dieses Gespräch zu führen! Für deine Ausstellung 'SUPERFLARE' im Neuen Kunstverein Gießen hast du eine neue gleichnamige Installation entwickelt. Was hat es mit diesem tollen Titel auf sich?
Emma Adler Allein das Wort bietet schon eine gewisse Zweideutigkeit. Und es wirkt reißerisch, obwohl es ein Fachausdruck ist! „Superflare“ bezeichnet eine sehr heftige Sonneneruption, um genau zu sein, bis zu eine Million Mal so energisch wie normale Sonnenstürme.
AC Was ist die Beziehung zu den Objekten, die wir in der Ausstellung sehen?
EA Zentrales Objekt der Installation ist ein wuchtiges Gerät: ein Solarium oder Sonnensimulator. Die Maschine ist in eine fleischfarbene Lackhaut gehüllt und strahlt in unregelmäßigen Abständen ein sehr helles, grell-türkises UV Licht aus, das die Atmosphäre des Ausstellungsraums schlagartig verändert. Gleichzeitig werden, durch UV aktive, sonst transparente Farbe, bestimmte Dinge und Zeichen sichtbar.

Emma Adler, 'SUPERFLARE, 2019, exhibition view, Neuer Gießener Kunstverein. Courtesy: the artist

AC Neben der Maschine sind weitere Objekte im Raum verteilt. Zum Beispiel eine kleine, ebenfalls helle hautfarbene, Keramikformation auf dem Boden neben dem Solarium. Ich finde, dass diese von der Materialität heraussticht. Die organische Form steht im Kontrast zu den anderen industriell-hergestellten Materialien, die du in der Ausstellung benutzt.
EA Ja, die Keramik ist die dreidimensionale Nachbildung einer wissenschaftlichen Zeichnung von 1859, einer Darstellung der Sonnenflecken, die beim gewaltigsten bisher beobachteten Sonnensturm entstanden sind. Sonnenstürme sind kein seltenes Phänomen. Superflares, wie das sogenannte Carrington-Ereignis von 1859, dagegen schon. Angeblich konnte man Polarlichter in der Karibik sehen und Telegrafenmasten brannten. Phantasiert man ein solches Ereignis in die heutige Zeit, hätte die damit verbundene extreme Störung des Erdmagnetfelds natürlich viel heftigere Auswirkungen. Elektronische Bauteile von Satelliten auf der Erdumlaufbahn würden ge- oder zerstört. Plötzlich gäbe es keine GPS-Signale oder Satelliten-Kommunikation, wovon heute, ob Flugverkehr oder Banktransfer, ja alles mögliche abhängig ist. Außerdem würden die Stromnetze ausfallen…kurz: Die gesamte Hightech-Infrastruktur der Welt könnte zusammenbrechen.
AC Das klingt nach großem Hollywood Kino!
EA Oh ja! „Die Gefahr aus dem Weltall!“, „Blackout nach Superflare!“ Nach solchen Schlagzeilen und pseudo-wissenschaftlichen Reportagen mit Katastrophenfilm-Szenen muss man nicht lange im Internet suchen. Natürlich findet das, wenn auch wissenschaftliches Phänomen, auch Anklang bei Verschwörungstheorie-Anhänger*innen. Wie absurd ist es, sich mit einem so unwahrscheinlichen Ereignis aufzuhalten, Angst vor dem Weltraumwetter zu haben, wenn man bedenkt, was gerade auf der Welt abgeht?! Es ist ein perfektes Exempel für mediale Panikmache!

Emma Adler, SUPERFLARE (S.S/imulator), 2019, Philips HB 546/A, aluminium varnish, pigeon protection, varnish material, textile, printed, effect foil, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

Emma Adler, SUPERFLARE (S.S/imulator), 2019, Philips HB 546/A, aluminium varnish, pigeon protection, varnish material, textile, printed, effect foil, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

AC Mit Verschwörungstheorien hast du öfters gearbeitet. Zum Beispiel auch in deiner Arbeit Δ/δ (delta/delta) ll. Was interessiert dich daran?
EA Mich interessiert vor allem die Frage nach verschiedenen Realitätsebenen, die sich bei Verschwörungstheorien schnell stellt. Sie sind Realitäts-Erzeugungssysteme. Besonders deutlich wird das bei meiner liebsten und einer der abstrusesten Verschwörungstheorien, bekannt unter dem Namen „Project Blue Beam“: Für Anhänger*innen dieser Theorie ist der Himmel durch riesige Projektionen und Hologramme manipuliert, um uns und unsere Wahrnehmung zu täuschen. Zur Untermauerung der Thesen wird gern Info-Material der NASA herangezogen – völlig umgedeutet natürlich.
Diese Erklärvideos zu Wettersatelliten, Navigationssystemen und ähnlichem sind echt, aber der Sprecher liefert eine völlig andere Information. Im Netz kursieren selbst gedrehte Videoclips, die Naturerscheinungen als ausgeklügelte Fakes, die Sonne zum Beispiel als Hologramm, „entlarven“. Sie sollen Belege liefern für die vermeintliche Falschheit all dessen, was wir unsere Wirklichkeit nennen. Die skurrilen Theorien jedenfalls entlocken schnell ein Lachen, da sie erstmal sehr weit von unserer Wirklichkeit entfernt sind. Aber mit Blick auf die Politik wird klar: Auch hier werden anhand absurder Thesen Ängste berührt oder geschürt. „Project Blue Beam“ war übrigens Grundlage für die Installation Δ/δ (delta/delta) ll, die du angesprochen hast.

Emma Adler, SUPERFLARE, 2019, effect foil, safety glasses, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

AC Im Zentrum dieser Arbeit stand wie bei 'SUPERFLARE' ebenfalls ein Solarium.
EA Es gibt viel, was mich an der Arbeit mit diesen Geräten reizt: Das un- und übernatürlich wirkende Licht, die Ambiguität zwischen bekannt und befremdlich. Abgesehen von der Fähigkeit artifiziell die Hautfarbe zu verändern, gefällt mir außerdem die Kombination von Fake-Sonne mit echter UV-Strahlung. Innerhalb der Installationen werden diese Heimsolarien zu unheimlichen, mysteriösen Maschinen, ihre ursprüngliche Funktion verschwindet.
AC Wann hast du angefangen Verschwörungstheorien in deine Arbeit mit einfließen zu lassen?
EA Ich arbeite ja immer wieder mit Dopplungen, Original/Kopie, Realität/Virtualität und alltäglichem Kuriosem. Mein Hauptthema ist seit Längerem schon das weite Feld fake. Da stößt man unweigerlich auch auf konspiratorische Konzepte. Kurz vor einer Residenz in New York war ich auf „Project Blue Beam“ gestoßen und total angefixt. Das war alles 2017. Trump wurde gerade als Präsident vereidigt. Der Begriff fake gewann rasant an Popularität und gewissermaßen auch eine andere Bedeutung – Stichwort fake news. Noch etwas Neues: Alternative facts! Diese Verbindungen von populistischer Politik und absonderlicher Verschwörungstheorien waren auf jeden Fall mit ein Grund, damit auch künstlerisch zu arbeiten. Meine Recherche-Reise hat mich dann auch nach Las Vegas, der Hauptstadt des fakes, geführt. Abgesehen von der politischen Aktualität (Las Vegas Shooting 2017, Verschwörungstheorie-Anhänger hielten den Amoklauf für inszeniert) war hier vor allem die überbordende Präsenz von Artifiziellem aller Art inspirierend: Unechter Marmor, künstliche Palmen und Pyramiden, falsche Himmel und Sehenswürdigkeiten…

Emma Adler, SUPERFLARE (Carrington 20.20), 2019, ceramic, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

Emma Adler, SUPERFLARE (S.S/imulator), 2019, Philips HB 546/A, aluminium varnish, pigeon protection, varnish material, textile, printed, effect foil, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

AC À propos Materialen. Ich habe eine gewisse Vorliebe für den Baumarkt in deiner Arbeit beobachtet.
EA Oh ja! Ich liebe Baumärkte! Meist treibt mich trotzdem aber eher die Arbeit als die Romantik dorthin. Außerdem gibt es hier ein wahres Arsenal an Fake-Materialien: Fliesen in Holzoptik, Laminat im Granitlook – ein Traum! Toll sind auch die Küchenarbeitsplatten, edel und robust wirkende Oberflächen im Steinimitat. Aber an der Seite, im Anschnitt unverkennbar, dass es sich um Sperrholz handelt. Und natürlich PVC. Egal wie aufwendig produziert und teuer die Auslegware ist, wirklich getäuscht wird man nicht! Das Material als solches ist immer erkennbar und präsent.
AC Also interessiert dich diese multiple Identität des Objekts?
EA Genau. Das fake ist sichtbar. Es geht mir nicht darum, ein Ersatzprodukt für echten Marmor zu finden. Ich wähle PVC mit all seinen Eigenschaften ganz bewusst aus. Generell geht es bei der Thematik des fakes um etwas anderes als Täuschung. Mich interessiert, wenn die eigene Wahrnehmung hinterfragt wird oder für gegeben angenommene Umstände sich verschieben. Noch besser finde ich, wenn es einen weiteren Twist gibt. Etwas wirkt fake ist aber echt, ein Fake-Fake sozusagen.
AC Es gibt verschiedene Strategien die Welt zu erklären: durch die Wissenschaft, anhand des Glaubens etc. Deine Arbeiten hingegen beruhen auf Undurchsichtigkeit, du bietest den Betrachter*innen bewusst keine eindeutige Lesart und erst recht keine Erklärung.
EA Genau, das hast du gut getroffen. Ich will niemandem die Welt erklären, erst recht nicht durch die Kunst, das ist nicht ihr Job. Natürlich habe ich Beweggründe, diese oder jene Arbeit zu machen. Aber meine Kunst soll nicht von meinen Erklärungen abhängig sein. Ich freue mich darüber, verschiedene Assoziationen von Betrachter*innen zu hören. Die müssen nicht deckungsgleich sein mit meiner ursprünglichen Idee. Wenn die Arbeit es schafft, ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln – im Fall von 'SUPERFLARE' vielleicht ein seltsames Unwohlsein, wie eine nicht greifbare Vorahnung – dann ist schon viel erreicht.

Emma Adler, SUPERFLARE (Hardware ll+III), 2019, rubber, aluminium lacquer, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

AC Oft haben deine Arbeiten auch etwas sehr Absurdes. Wie zum Beispiel, wenn du Autofußmatten in Kunstgegenstände verwandelst. Oder die Keramik, die eine ganz andere Assoziation als Wissenschaft hervorruft. Ich finde Humor spielt bei dir eine große Rolle. Ich musste sehr lachen als ich das Detail auf den Red Bull Dosen in deiner Ausstellung gesehen habe. Darauf hast du „Nazi Bier“ mit UV-Marker darauf geschrieben.
EA Humor ist wichtig. Abgesehen davon, dass sich sowieso niemand zu ernst nehmen sollte – auch die Kunst nicht – kann es ruhig witzig sein. Auch oder gerade wenn es um etwas Ernstes geht!
AC Die Markierung auf der Dose ist der einzige direkte Hinweis zu politischen Fragestellungen, den du in der Ausstellung gibst, aber auch dieser ist aber nicht direkt zu sehen. Nur wer genau hinschaut, entdeckt die leeren Red Bull Dosen in der Ecke. Und um die Schrift sehen zu können, muss sogar das Solarium angeschaltet sein.
EA Es ist wirklich nur ein kleines Detail, das aber sein musste. Bisher waren politische Ansätze in meiner Arbeit eigentlich nur auf einer zweiten Ebene zu erkennen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen, denke ich aber mehr und mehr, dass es einer viel größeren Deutlichkeit bedarf. Direktheit aber ohne Didaktik! Kunst soll nicht belehren, sondern zeigen. Und Zeigen ist ein anderes Wort für Demonstrieren.

Emma Adler, SUPERFLARE (Nazibier), 2019, RedBull cans, UV marker, Neuer Kunstverein Gießen. Courtesy: the artist

Emma Adler – SUPERFLARE
19. Oktober – 30. November 2019
Neuer Kunstverein Gießen
Ecke Licher Str./Nahrungsberg
35394 Gießen
Emma Adler ist Künstlerin, sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Ausstellung 'SUPERFLARE' im Neuen Kunstverein Gießen ist Teil einer Reihe von Installationen, die sie in unterschiedlichen Ausstellungsformaten fortführt, zuletzt 2018 im Kunsthaus Dahlem in Berlin unter dem Titel 'REALITY SHOW'.