Auf der Zungenspitze: Raum, Körper und Sprache in der Ausstellung „Maruša Sagadin. Luv Birds in toten Winkeln“
Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main
16–02–2024
by Marie Oucherif Maruša Sagadin

Maruša Sagadin und Marie Oucherif unterhalten sich für PASSE-AVANT über die Ausstellung Maruša Sagadin. Luv Birds in toten Winkeln, die in der Rotunde der Schirn Kunsthalle zu sehen war. 

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


Marie Oucherif: Liebe Maruša, im Januar waren die letzten Tage deiner Ausstellung „Luv Birds in toten Winkeln“ und obwohl wir uns virtuell treffen, stelle ich mir gerne vor, wir würden auf einer deiner Bänke in der Schirn Rotunde sein.


Maruša Sagadin: Genau, auf den Bänken sitzen, unter den Säulen, wie zwei Turteltauben.

MO: Du verbindest in deinen Ausstellungen und deiner Kunst durch deine beiden Schwerpunkte immer Architektur mit Bildhauerei. Meine erste Frage ist eine ganz allgemeine: wo fängst du da an und kannst du in diesem Zug auch darüber erzählen, welche Faktoren dich an der Schirn Rotunde interessiert haben und wie du begonnen hast über die Ausstellung nachzudenken?


MS: Es ist für mich oder war für mich besser gesagt ein Geschenk in diesem Raum arbeiten zu dürfen: ich liebe die Postmoderne! Für mich ist dieser Ausstieg aus dem Rationalen besonders interessant, vor allem gewisse Übertreibungen, Sinnlosigkeiten oder Redundanzen in Gebautem zu tolerieren. Ich arbeite viel im öffentlichen Raum, daher liegt mir der Charakter der Rotunde mit seinem Halböffentlichen sehr. Die Rotunde ist 22 Meter hoch und rund, in so einem Raum habe ich zuvor noch nie gezeigt, noch dazu kann die Installation nicht nur von allen Seiten eingesehen werden, sondern auch auf unterschiedlichen Etagen, da die Innenauskleidung aus Glas ist. Wie arbeitet man mit so einem Raum, ohne „monumental“ (lacht) zu werden? Meine künstlerische Geste ist oft Infrastrukturen umzukippen: Säulen werden zu Bänken, beispielsweise. Hier wusste ich, dass ich höher werden musste, als ich sonst arbeite. Die Luv Birds sind zwischen 3,5m und 4,5m hoch und an einem Punkt kann im ersten Stock des Rotundenumgangs ein vergrößerter Tropfen aus der Arbeit „Nasse Füsse“ gesehen werden. Mir war es wichtig, dass die Ausstellung auch in der Höhe einen Abschluss hat, um nicht von der Architektur selbst verschluckt zu werden.

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


MO: Damit sprichst du einen sehr wichtigen Punkt an, der auch mir ganz gut in deinen Arbeiten gefällt. Die Infrastrukturen des öffentlichen Raumes finden sich in deiner Installation „Luv Birds in toten Winkeln“ wieder: Man könnte sich abseits der Säulen auch vorstellen man sei in einem Park, es gibt Bäume, es gibt Parkbänke und Fassaden. Könntest du darauf eingehen, welche Eigenheiten des öffentlichen Raumes für dich wichtig sind?


MS: Mich interessiert generell nie das Vordergründigste oder das Repräsentativste, sondern dass man durch Suchen etwas für sich entdeckt. Das kommt auch im Titel der Ausstellung gleich zu anfangs: die toten Winkel. Orte und Situationen, die einem gefährlich erscheinen, die für mich aber ein Potential haben um gewisse Handlungen dort ausführen zu können. Auf der einen Seite gefährlich aber auf der anderen auch unbeobachtet. Gleichzeitig sind für mich Infrastrukturen auch immer Orte der Begegnung, Orte des Miteinanders. In der Ausstellung finden sich auch skulpturale Bänke, vier Stück davon, die von körperlichen Umrissen getragen werden, das sind Füße, Haarlocken oder Brüste, die auch wirklich zum Benutzen sind. Sie sind skulptural ausgearbeitet und pigmentiert. Die Bank als eine Infrastruktur, die wir kennen und dabei formal ausgearbeitet ist... der öffentliche Ort muss nicht immer aus Beton sein. In der Ausstellung sitzt man auf Holzbänken, die nochmal eine gewisse Wärme durch das Material abgeben. Die Luv Birds, also die Säulen, spiegeln ein tragendes Element der Rotunde, doch sie tragen nur sich selbst und Körperteile und verlieren ihre Funktion.

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


MO: Zwar nicht funktional, dafür aber praktisch. Eine Werkgruppe, über dich ich gerne noch etwas genauer sprechen würde, sind die skulpturalen Bänke in deiner Ausstellung: wie du schon zuvor gesagt hast, sind diese auch da um benutzt zu werden. Die Bank, auch in Überlegung zum Galerieraum über die Jahrhunderte, ist eine Akteurin, die unterschiedlichste Funktionen innen hatte: ein Ort zum Liegen, Essen, quasi "zum Sein", zu einem Ort geworden, der fast nicht mehr benutzbar erscheint, da er oft nur mehr als dekoratives Element in dem Räumen verwendet wird. Ich denke zum Beispiel an Ausstellungsansichten, in denen noch im Eck Mies van der Rohes "Barcelona Chair" zu sehen ist. Bei dir hingegen tragen die Arbeiten neben ihren ästhetischen Elementen auch die Eigenschaft einer „support structure“ und sie werden zu praktischen Objekten. Die Arbeiten können alle angefasst und benutzt werden. Fürsorge kommt bei dem Stichwort „support structures“ ebenso in den Kopf. Fürsorge wird dann benötigt oder reagiert darauf, wenn etwas gebraucht wird. Denkst du solche Konzepte in deinen Arbeiten mit, vor allem wenn du über die Rolle der Besucher:in nachdenkst?


MS: Oft gibt es eine gewisse Benutzbarkeit in meinen Arbeiten und dabei ist das Soziale und Zwischenmenschliche ein sehr wichtiger Teil. Meine Bänke zum Beispiel tragen den Titel „Schlechte Laune ohne Kiosk und Küche“, sie sind während der Covid-19 Pandemie entstanden, wo das Zusammenkommen und das Miteinandersein nicht möglich war und ich es für mein Dasein, für meine Kunst, für meine Arbeit sehr vermisst habe. Bei der Konzeption der Ausstellung waren mir die besonderen Eigenschaften der Rotunde auch klar, dass ein Sich-Aufhalten hier auch möglich ist, vor allem weil der Ort überdacht ist. Und weil dieser Ort zwischen dem Dom und dem Römer oft als Durchgangsort verstanden wird, wollte ich ihn doch nochmal als Aufenthaltsort, als Verlängerung des Foyers der Schirn verstärken. Hier wird die Kunst zur Bühne, auf der die Besucher:innen verweilen, sich darauf setzen, anlehnen, warten bis Tickets gekauft werden oder einfach nur Zeit verbringen. 

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


MO: Deine Arbeiten sind dabei auch sehr anziehend durch ihre Farbigkeit. Du arbeitest sehr intensiv mit Pigmenten und Konzepten, die mit Farben einhergehen und dekonstruierst diese auch.


MS: Es gibt tatsächlich keine Arbeiten von mir, die nicht angemalt sind. Nichts erscheint in der Echtheit des Materials. Das Trägermaterial, wie bei den Säulen, den Luv Birds, wird durch sehr viele Material- und Farbschichten versteckt. Oft ist es ein Jonglieren mit Wiedererkennbarkeiten, Zungen, wenn man sie erkennen und nicht mit Pflanzenblättern verwechseln will, werden dann lieber rot, die Nasen sind von ihrer Form her erkennbar, die können dann auch schnell blau werden oder eine andere Farbe bekommen. Sozusagen: wo kann ich mich zwischen Erkennbarkeit und Dekonstruktion bewegen. Oft verwende ich aber Farben, die im queer-feministischen Kontext auftauchen, um ganz klare Inhaltlichkeit zu transportieren, also vor allem wenn es um das Pinke und das Violette geht. Farben können ja auch immer politisch gelesen werden und um das ständig zu brechen, versuche ich auch in meinen Farbcodes nicht ganz starr zugeordnet werden zu können.

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


MO: Deine Arbeiten tragen sehr besondere Titel, Sprache ist für dich ja auch immer ein Experimentierfeld. Man begegnet dieser Auseinandersetzung gleich zu Beginn durch den Titel der Ausstellung, „Luv Birds in toten Winkeln“, aber auch im Lauf der Ausstellung in Form der Werke, du hast es vorhin schon erwähnt „Schlechte Laune ohne Kiosk und Küche“ oder eine, meiner Meinung nach humorvollsten Arbeit „Schlechter Witz“: die Säule mit der großen gelben Birne. Welche Rolle spielt Sprache in deiner künstlerischen Praxis und wie gehst du mit Sprache um?


MS: In früheren Arbeiten habe ich mehr mit Sprache experimentiert und längere Texte geschrieben sowie Raps dabei verfasst, um ein lockeres Narrativ mit reinzubringen. Heute kommt das Narrative eher durch die Skulpturen selbst rein, sie bestmöglich auszuformulieren. Ich spreche unterschiedliche Sprachen, slowenisch, deutsch, englisch und italienisch und finde es dabei interessant einen Mix davon mit einer Ebene Humor auszuformen, vor allem wenn es um das verpönte Denglische geht, daher auch die Luv Birds in den toten Winkeln. So wie es keine Arbeit gibt, die nicht farbig ist, gibt es auch keine, die keinen Titel hat. Die Titel sind für mich ganz gute Wegweiser, wie man die Arbeiten lesen kann oder wie ich die Lesbarkeiten lenken kann.

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


MO: Humor spielt da auch eine große Rolle, oder? Die Wortspiele in den Titeln der Arbeiten auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch auf visueller Ebene: Man trifft auf eine Formensprache bei dir, die sehr cartoonesk ist oder wirkt. Übertrieben, monumental, bunt, in der Komposition ist dieser Mix sehr speziell für deine Praxis. Könntest du etwas mehr zu Humor sagen?


MS: (lacht) So wie das mit Erklären von Humor ist, wird er durch die Erklärung gleich selbst schlecht, so, wie wenn man die eigenen Witze nochmal aufrollt. Dabei bin ich sehr ernst bei der Arbeit und diese auf den ersten Blick sehr einfach zu lesenden Arbeiten, die leicht rüberkommen, bunt sind, farbenfroh sind, agieren ja auch fast wie ein Deckmantel. „Moment, um was geht es bei den Bänken und bei den Säulen, die monumentale Körperteile tragen, denn genau?“ Das sind dann Fragen, die kommen, sobald man sich über diesen ersten Eindruck hinweg mit den Skulpturen aufhält.

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


MO: Genau, diese Diskrepanz wird durch den Humor auch nochmal greifbarer. Die toten Winkel im Titel der Ausstellung erinnern auch sofort an Alarmbereitschaft und werden dann mit der Ausstellung nochmal gebrochen, du kehrst auf sehr poetische Ebene Strukturen in den Vordergrund, die nicht per se zu sehen sind und machst quasi Kategorien, die starr sind, durchlässig.


MS: Stimmt. Ich glaube, mein Versuch ist eine gewisse Inhaltlichkeit zu transportieren ohne ganz hart daherzukommen. Es ist eine Kampfansage, die verführt und positive Räume schafft. Also durch eine vermeintliche Täuschung Inhaltlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das kann auch schwierig sein, das sehe ich auch, aber ich glaube daran, dass ein positiver Ansatz ein ganz guter ist, um Dinge aufzubrechen, die herrschen und die man brechen möchte, wie das patriarchale zum Beispiel.


MO: Toll, vielen Dank Maruša!!


MS: Und dir auch Marie!!

Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln, 2023–2024. Installation view, Schirn Kunsthalle Frankfurt, © Photography: Mareike Tocha


MARUŠA SAGADIN. LUV BIRDS IN TOTEN WINKELN

22/09/2023 – 14/01/2024


Curated by Marie Oucherif


SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT

Römerberg

60311 Frankfurt am Main