Paula Maß: Droopy Rose wurde zuvor schon im saasfee*pavillion und auf dem Kasseler Dokfest auf einer einzelnen großen Leinwand gezeigt. Welche Gedanken stehen hinter der Entscheidung, in der Schweizer5 gleich vier Bildschirme mit deiner Videoarbeit zu bespielen?
Theresa Büchner: Droopy Rose ist ein zwölfminütiges Einkanal-Video. In der Schweizer5 wollten wir unterschiedliche Erlebnismodi für die Besucher*innen entwerfen. Das Video konnte in Gemeinschaft oder individuell angeschaut werden. So macht es auch die Hauptfigur meines Films - ein Kind, das den Sommer alleine vor dem Fernseher in einer Ferienhaussiedlung verbringt. Obwohl die Erwachsenen dem Kind das Fernsehschauen strikt verboten haben, setzt es sich darüber hinweg. So wird Daniela, die Protagonistin einer Scripted-Reality Serie, zur Gefährtin des Kindes. Das Kind reflektiert über den Bruch der Darstellerin mit ihrer Rolle und zieht daraus Konsequenzen für seine eigene Lebenswirklichkeit.
Das Schöne an den Ausstellungsräumen im Schweizer5 war, dass sich Motive des Films in den Fresken vor Ort wiederholt haben. Vielleicht war es beinahe ein wenig dick aufgetragen: die Rosen – in Analogie zum Ausstellungs- und Filmtitel – waren deutlich an den Decken zu sehen und die rosigen Wangen des Kindes fanden sich in den aufgemalten Putten wieder. Mir hat das gefallen.
PM: Du hast im Rahmen der Ausstellung eine Publikation veröffentlicht, die neben Filmstills und Fotos vom Set deiner Videoarbeit Droopy Rose auch eine Kurzgeschichte, ein Essay sowie das Film-Script enthält. In welcher künstlerischen Verbindung stehen Videoarbeit und Publikation?
TB: Die Publikation ist ein Werkzeug, um die verschiedenen Elemente der Arbeit zugänglich zu machen. Alle meine Arbeiten beginne ich damit, einen Text zu schreiben. Das ist entweder eine Kurzgeschichte, der Entwurf einer Szene, einer Figur oder ein Essay, das wiederum ins Theoretische lenkt. Daraus entwickele ich dann ein Script oder Konzept für eine Ausstellung. Die Publikation entsteht, um diese Seitenarme, die auf dem Weg zu einer visuellen Arbeit entstehen, als eigene Arbeitsschritte zeigen zu können.
PM: Das entspricht auch der Strategie des Filmemachens; erst gibt es eine Erzählung, wovon ausgehend ein Drehbuch entwickelt wird und dann der Film entsteht. Woher kommt dein Interesse am Film als künstlerisches Medium?
TB: Im Film habe ich die meisten erzählerischen Methoden zur Verfügung. Im Gegensatz zu anderen künstlerischen Medien, gibt es neben einer visuellen gleichzeitig eine Text- und Tonebene, sowie zeitliche Dimensionen, mit denen ich arbeiten kann. Mit Fiasco – meiner letzten als Installation präsentierten Arbeit – habe ich versucht, die erzählerisch-filmischen Methoden auf die Fotografie zu übertragen und dabei festgestellt, dass die Unterschiede gar nicht so gravierend sind. Wenn ich die Fotografien mit den Fragmenten einer Erzählung verknüpfe, lässt sich damit dramaturgisch und räumlich ganz gut arbeiten. Der Text ist für mich aber zuerst ein Mittel, um meine Gedanken zu ordnen und herauszufinden, worum es mir eigentlich geht: was ist der Konflikt, die Frage oder das Thema der Arbeit?
PM: Dann funktioniert die Erzählung vielleicht wie dein künstlerischer Entwurf, eine Art Skizze. Kannst du beschreiben, wie du in deiner fotografischen Arbeit Fiasco, die im November 2021 in der Frankfurter Basis zu sehen war, dramaturgisch und räumlich mit Text und Fotografien gearbeitet hast?
TB: In der Ausstellung Fiasco habe ich schwarz-weiß-Fotografien mit einer Nummerierung versehen. Dadurch konnten sie mit einem „unzuverlässigen Index“ verknüpft werden, der auch Elemente aufführte, die nicht im Ausstellungsraum zu finden waren.
Im dazugehörigen Textfragment ging es um die Protagonistin Natalie, die sich stark über die Objekte in ihrer häuslichen Umgebung definiert. In den Fotografien ließen sich diese Motive aus der Erzählung wiederfinden. Beispielsweise ist Natalie leidenschaftliche Sammlerin von Hotelseifen. Diese zeugen von ihren vielen Reisen. Mittlerweile haben die kleinen Seifenstücke aber ihren angenehmen Geruch verloren. Genauso wie ihren Wert als Statussymbole.
Für die großformatigen Inkjet-Prints der Fotografien habe ich ein spezielles Papier ausgewählt, dessen Eigenschaften mir sehr gefallen: Es ist sehr dünn, reagiert sensibel auf die Konditionen im Raum und verändert sich schnell, verzeiht gleichzeitig aber auch viele Handgriffe.
In der Ausstellung habe ich außerdem mit einem Parfüm gearbeitet, das schon längst nicht mehr hergestellt wird und etwas altbacken riecht. Der versprühte Geruch sollte die geisterhafte Anwesenheit der Protagonistin Natalie für Besucher*innen wahrnehmbar machen.
PM: In der Identifikation besteht eine inhaltliche Verbindung zwischen Droopy Rose und Fiasco. In Ersterem identifiziert sich das Kind zwar nicht durch (Status-)Objekte, stattdessen aber mit dem TV-Charakter Daniela. In der Videoarbeit eignest du dir Szenen aus der RTL2-Serie Family Storys an. Die sahne-süchtige Daniela wird gezeigt, wie sie einen Wohnwagen zerstört und sich entgegen normativ-gesellschaftliche Verhaltenskonventionen verhält. Entgegen üblicher Publikums-Reaktionen — wie Spott oder Verachtung — sieht das Kind in der Protagonistin eine Inspirationsfigur. Was steht hinter dieser künstlerischen Aneignung und deinem Interesse an der Figur Daniela?
TB: Mein Interesse an Scripted-Reality begann als Produktionsassistenz bei einer Firma in Köln, wo ähnliche Formate wie Family Stories produziert wurden. Meine Aufgabe bestand in der Digitalisierung der Casting-Kartei. Dabei fiel mir auf, wie respektlos das Produktionsteam mit den Serienbewerberinnen umging. „Die Fette“ wurde neben das Foto einer Frau geschrieben. In diesen Karteien stehen abschätzige, teilweise sogar menschenverachtende Kommentare. Wie lässt sich anders auf dieses problematische Produktionssystem reagieren, als bloß Mitleid für die vermeintlichen Opfern zu entwickeln? Ich wollte den Darstellerinnen mehr zutrauen, als „nur“ eine Opferrolle. Daniela, beziehungsweise die Schauspielerin Daniela Fehrenbach, ist dafür ein gutes Beispiel: Sie sprengt die ihr vorgegebene Rolle durch Overacting und scheint sich ihrer Position innerhalb des Produktionssystems sehr wohl bewusst zu sein. Darüber schreibe ich in dem bereits angesprochenen Essay.
PM: Die Figur Daniela nimmt eine absurde Rolle ein, die in einem sozialschwachen Milieu verortet werden soll und ins Lächerliche gezogen wird. Dadurch werden Vorurteile und Stereotype befeuert. Ist es dir ein Anliegen, die Betrachter*innen deiner Videoarbeit zum kritischen Überdenken ihrer eigenen Vorbehalte anzuregen?
TB: Ja! Indem ich dem Kind meine eigenen Reflexionen zu Danielas übertriebenem Schauspiel und ihrem strategischen Rollenbruch in den Mund lege, schlage ich eine andere Lesart der Serie und der Figur vor. Die Umdeutung eines bestimmten popkulturellen Produkts ist eine künstlerische Methode, um auf einen gesellschaftlichen Zusammenhang hinzuweisen, ohne moralisierend zu werden.
PM: Wie ist demnach das Verhältnis zwischen Fiktion und Realität — beziehungsweise dem Autobiografischen — in Droopy Rose?
TB: Die meisten meiner letzten Arbeiten besitzen autofiktionale Elemente – manche mehr, manche weniger. Ich glaube, dass die autobiografischen Elemente, die ich verwende, stark künstlerisch inszeniert werden müssen. Auch scheinbar Authentisches und Selbsterlebtes ist nicht unmittelbar verfügbar, sondern muss konstruiert werden, um sich mir selbst und einem Publikum überhaupt zu vermitteln. Das möchte ich in meinen Geschichten und Filmen durchscheinen lassen. Auch die Aspekte, die im Film autobiografisch erscheinen, sind Produkte einer Inszenierung. Das heißt nicht, dass sie dadurch weniger real sind. Sie durchlaufen aber eine Vielzahl von Interpretationsschritten. Den Satz „Morgen ist ein neuer Tag, da können wir uns wieder aus dem Weg gehen“, den das Kind in Droopy Rose sagt, habe ich allerdings wortwörtlich von meiner Cousine übernommen, denn er schien mir prägnant für die Familiendynamik im Film. So verfahre ich mit den meisten Elementen, die ich verwende; Motive oder Worte, die ich aufschnappe oder lese, werden in einen neuen erzählerischen Zusammenhang gebracht.
PM: Besonders deine frühere Videoarbeit Demolding a Daugther von 2018 lässt autobiografische Referenzen vermuten. Darin greifst du erneut die Beziehung zwischen Heranwachsenden und ihren Eltern auf — diesmal fokussiert auf das angespannte Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. Poetische Nahaufnahmen zeigen die Mutter, wohingegen die Tochter und zugleich Ich-Erzählerin, die deine Stimme trägt, nur hör- aber nicht sichtbar ist. Ich hatte den Eindruck, dass es sich hier um ein „echtes“ Gespräch zwischen dir und deiner Mutter handeln könnte…
TB: Das stimmt, meine Stimme ist zu hören und ich nehme die Rolle der Tochter ein. Tatsächlich ist auch die Stimme meiner eigenen Mutter in der Rolle der Mutter zu hören, die ich ihr zugeschrieben habe. Allerdings ist die Frau im Film eine Schauspielerin. Sie liegt mit ihrem Alter zwischen mir und meiner Mutter; könnte sozusagen Mutter und Tochter verkörpern.
Die ganze Videoarbeit geht von einem Familienfoto aus. Ich habe mich allerdings entschieden, es nicht im Film zu zeigen, obwohl es ein sehr schönes Foto ist: Meine Mutter – im Badeanzug und Jeansshorts, eine Zigarette im Mundwinkel – posiert auf einer Wiese im Sommer vor einer ihrer drei Meter hohen Stahlskulpturen. In dieser Pose habe ich sie später, als sie dann eben meine Mutter war, nie wieder gesehen. Was war das für eine Zeit, bevor sie ihr Kind, also mich, zur Welt gebracht hat?
PM: Mich hat der Prozess des Sich-Entfremdens von der eigenen Mutter, der im Film porträtiert wird, sehr berührt. Darauf spielt auch der Titel Die entformte Tochter an.
TB: Genau, das Entformen ist ein Begriff aus der Bildhauerei und beschreibt den Moment, in dem die Form vom Guss gelöst wird und die Skulptur für sich steht. Als ich diese Arbeit entwickelt habe, ist mir bewusst geworden, dass ich gar nicht „zu“ autobiografisch werden kann. Ich hatte das Gefühl, je mehr meiner persönlichen Erfahrungen einfließen, desto mehr Identifikationsfläche bietet sich den Betrachter*innen.
PM: Demnächst wirst du dein Studium an der Städelschule abschließen. Wird deine Abschlussarbeit erneut autobiografische Themen und Eltern-Kind-Dynamiken künstlerisch verhandeln?
TB: Es wird eine fotografische Arbeit, in der ich autobiografische Elemente als Material verwende. Allerdings ist das narrative Netz diesmal etwas lockerer gewebt und ich bin gespannt auf die Assoziationen der Betrachter*innen. Die Arbeit heißt Erbmasse und verhandelt sowohl das physische als auch gesellschaftliche Gewicht, das eine Erbschaft mit sich bringt. Ab 1. Juli ist die Serie im Rahmen der Absolvierendenausstellung der Städelschule zu sehen.
Theresa Büchner (*1993 in Aachen) entwickelt filmische, fotografische sowie textbasierte Arbeiten. Sie begann ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und studierte anschließend bis 2018 an der Gerrit Rietveld Academie Amsterdam. Seit 2019 setzt Theresa Büchner ihr Studium an der Frankfurter Städelschule in der Klasse von Willem de Rooij fort, wo sie 2022 abschließen wird.