Museen als Lernorte in der Pandemie
Monika Hauser-Mair
20–01–2021
by Sonja Borstner

Unsere Redakteurin, Sonja Borstner, spricht mit Monika Hauser-Mair, der Leiterin der Städtischen Galerie Rosenheim, darüber wie die Schule in ihr Museum eingezogen ist und dort nun in mitten von Malereien Schüler*innen unterrichtet werden.

'Kunst trifft Schule', 2020, Städtischen Galerie Rosenheim. Courtesy: Städtischen Galerie Rosenheim; photograph: Martin Weiand

Sonja Borstner Die Herabstufung der Kultur als „Freizeitaktivität" im Zuge der Lockdown-light-Regulierungen im November sorgte im deutschen Kulturbetrieb für viel Unmut. Nicht nur wegen der grundsätzlichen Infragestellung des Infektionsrisikos innerhalb eines Museums, sondern insbesondere da diese Interpretation den Bildungsauftrag von Kulturinstitutionen missachtet. Die Räumlichkeiten der Städtischen Galerie Rosenheim wurden in den letzten Wochen für Schulklassen zugänglich gemacht, um Unterricht außerhalb der Schule zu ermöglichen. Was können Sie uns von Ihren bisherigen Erfahrungen berichten?

Monika Hauser-Mair Der Unterricht in der Städtischen Galerie läuft inzwischen routiniert und ist für alle Beteiligten bereits zu einem Alltag und einer gewissen Normalität geworden. Überrascht haben uns das starke Echo und die Reaktionen deutschlandweit, sogar international. Dies zeigt, dass unsere Kooperation mit dem Sebastian-Finsterwalder-Gymnasium wohl doch ein außergewöhnlicher Schritt in eine neue Richtung darstellt.
Natürlich ist es erfreulich, dass diese Initiative auf ein solches Interesse stößt und hoffentlich die Diskussion über die gesellschaftliche Relevanz von Kultureinrichtungen inhaltlich befördert. Im Moment der Entscheidung stand aber vor allem der Wunsch zu helfen im Vordergrund – für uns war und ist es, jenseits aller Debatten, schlichtweg eine völlige Selbstverständlichkeit und eine pragmatische Lösung, den größten Ausstellungssaal für den Unterricht anzubieten, da dieser derzeit nicht anders genutzt werden kann und darf.
Der 90m² große Saal bietet grundsätzlich ausreichend Platz, um den vorgeschriebenen Hygienevorschriften gerecht zu werden. Probleme bereiteten uns anfangs allerdings der Steinfußboden und die 6m-Deckenhöhe, wodurch Stimmen im Saal stark hallten. Hier haben wir inzwischen u.a. mit Teppichen eine gewisse Abhilfe geschaffen. Zudem verwenden die Lehrkräfte nun eine kleine Mikrofonanlage, die auf den Saal abgestimmt ist.
Die Schüler*innen sind in erster Linie dankbar für den Raum und froh, dass sie sich vor Ort gemeinsam in der Gruppe mit ihren Lehrer*innen auf das Abitur vorbereiten können. Ich denke nicht, dass diese besondere Zeit in unserer Galerie sie unvermittelt zu versierten „Ausstellungsgängern“ werden lässt – im Vordergrund steht für sie derzeit das Abitur und die angemessene Vorbereitung darauf.
Selbstverständlich wäre es schön, wenn es auf diese Weise gelingt, langfristig Hemmschwellen abzubauen und deutlich wird, dass jederzeit ohne Bedenken und ohne Vorkenntnisse ein Ausstellungshaus oder eine kulturelle Bildungseinrichtung besucht werden kann – sozusagen dass ein Ausstellungsbesuch als Selbstverständlichkeit so wie ein gutes Essen, ein Kino- oder Kaffeehausbesuch, ein bewusstes Genießen ohne belastende Strapazen, empfunden werden darf.

'Kunst trifft Schule', 2020, Städtischen Galerie Rosenheim. Courtesy: Städtischen Galerie Rosenheim; photograph: Martin Weiand

SB Welche kunstpädagogischen Formate bieten Sie als Begleitprogramm zu regulären Ausstellungen an? Was könnte der Schulbetrieb von der Kunstpädagogik an Museen lernen?
MHM Wir bieten Führungen für verschiedene Zielgruppen (Schüler*innen aller Altersgruppen, Senior*innen, Menschen mit Behinderung usw.). Abgestimmt auf die Ausstellungsinhalte werden für Schulklassen zusätzlich verschiedene praktische Programme erarbeitet (Collagen-, Schablonen-, Drucktechnik, Bau von Dioramen usw.).
Für Individualbesucher*innen bieten wir – abgestimmt auf den Ausstellungsinhalt – beispielsweise auch „Lesehöhlen“, Literatur, Entdeckungstouren, Exkursionen und Workshops an. Und mit unserer „Galerie im Koffer“ können wir Schulklassen besuchen und ein kurzweiliges Entdeckerspiel über die Stadtgeschichte Rosenheims anbieten.
Durch unsere kunstpädagogischen Führungen möchten wir die Schüler*innen zum sehen und spüren anregen. Uns geht es bei den Terminen weniger um theoretisches Wissen – wir stellen eher viele Fragen: Wie wirkt das Bild auf Euch? Spürt ihr beim Betrachten des Werkes etwas „im Bauch“? Erinnert euch das Motiv an Erlebnisse, Gedanken, Träume? Warum verwendet die Künstler*in diese Form des künstlerischen Ausdrucks? Wie hat die Künstler*in vielleicht gefühlt, als dieses Werk entstanden ist? Welche politischen/geschichtlichen/wirtschaftlichen Ereignisse waren damals (bei Entstehung des Werkes) mutmaßlich prägend?
Die Kunst soll den jungen Menschen helfen, ästhetische Erfahrungen und Empfindungen erleben zu können und damit zum Erkunden und Entdecken der Umwelt anzuregen.
SB Wie könnte eine größere Verschränkung zwischen Bildung und Kunst auch nach dem Lockdown funktionieren?
MHM Ich würde mir wünschen, dass die Lehrkräfte in den Schulen verstehen, dass mit dem Besuch einer Ausstellung keineswegs nur klassische Inhalte des Kunstunterrichts erlebbar werden, sondern auch zentrale Themen aus Geschichte, Sozialkunde, Deutsch, Religion, Wirtschaft oder Mathe erarbeiten werden könnten. Kunst bietet Zugang zu diversen Wissensfeldern und Lehrplaninhalten.
Zugleich bieten kunstpädagogische Angebote eine Möglichkeit, sogenannte Kernkompetenzen leichtfüßig zu vermitteln, so zum Beispiel genaues, reflektiertes Wahrnehmen von präsentierten Inhalten, Gedanken und Empfindungen in der Gruppe artikulieren, (gemeinsames) freies und assoziatives Denken, eigene Fragestellungen entwickeln und vor allem auch einmal Unklarheiten und zwei- und mehrdeutige Antworten auszuhalten.
Essentiell für eine stärkere Verschränkung bleibt letztlich in meinen Augen der Dialog unerlässlich, nicht nur auf institutioneller, sondern vor allem auch auf ganz persönlicher Ebene. Ein gegenseitiges Öffnen für die unterschiedlichsten Empfindungen zwischen Künstler*in und Betrachter*in ist die Basis.
Monika Hauser-Mair ist die Leiterin der Städtischen Galerie in Rosenheim.