Banu Cennetoğlu und der Zweifel an dem Wort
K21 Kunstsammlung NRW, Düsseldorf
05–11–2019
Seit geraumer Zeit raunt es durch die Redaktionen der Zeitungen und Magazine, Klatschblätter und Illustrierten: Print ist tot. Im selben Atemzug ruft man: Lang lebe Print. Das geschriebene Wort, mit Druckerschwärze auf das graue Papier der Zeitung gebannt, hat noch immer Wert, weil es – stärker als das in seinen Grundzügen demokratische Internet – nach wie vor darüber bestimmt, welche Ereignisse aus dem Strom herausgegriffen werden und Beachtung finden. Es geht dabei auch darum, wie viel physischen Platz eine Nachricht einnehmen darf und wie viel Raum ihr zusteht. Diese Frage stellt sich online nicht. Da gibt es, erst mal zumindest, genug Platz für alle. Und so ist Print nach wie vor Medium und Ort gleichzeitig, in dem man nicht nur über die Geschehnisse dieser Welt lesen, sondern an dem man auch etwas über ihre Verfasstheit erfahren kann.
In der Bel Etage des K21 in Düsseldorf hat die türkische Künstlerin Banu Cennetoğlu dem gedruckten Wort eine besondere Stellung gegeben. Hier zeigt Cennetoğlu lange Tafeln, auf denen, zu großen Büchern gebundene, Zeitungen zu finden sind. Diese Zeitungen entstammen Archiven, an denen sie seit 2010 kontinuierlich arbeitet. Sie geht dabei folgendermaßen vor: An ausgewählten Tagen kauft sie alle verfügbaren lokalen und nationalen Zeitungen, die in einem Land erschienen sind. Bisher sind sechs dieser Archive, mit Zeitungen aus der Türkei, Schweiz, zwanzig arabischsprachigen Ländern, Zypern, dem Vereinigten Königreich und Deutschland entstanden.
Cennetoğlu sammelt und bewahrt auf. Ein Albtraum für die Aufräum- und Ordnungsbesessenheit, die sich in den letzten Monaten, nicht nur durch den gnadenlosen Aufstieg der Ordnungsfanatikerin Marie Kondo in Köpfe und Wohnungen geschlichen hat. Jeder Gegenstand, der sich seinen Platz bei so einem Aufräum-Marathon erkämpft hat, wird quasi-mythisch aufgeladen: “Does it spark joy to you?”. Dieser Tendenz zum Minimalen, zum Ausmisten stellt sich hier eine künstlerische Praxis des Bewahrens und Festhaltens entgegen. Denn über Gegenstände erzählen sich Geschichten, vermitteln sich Skizzen, an denen entlang man Vergangenheit erahnen und Zukunft vorstellen kann. Dem Aufräumen und dem zur Haltung erhobenem Nicht-Besitz, steht der Datenmüll, den man tagtäglich durch die Dokumentation des eigenen Lebens ansammelt, gegenüber. Auch wenn man vielleicht kein einziges physisches Fotoalbum mehr besitzt, so hat man doch Abertausende Fotos auf dem Mobiltelefon, die nicht verstreuter und ungeordneter sein könnten, wenn sie in einer Kiste unter dem Bett verstaubten.
Die physische Masse der Nachrichten, denen man sich in der Ausstellung gegenübersieht, ist beeindruckend und den inhärenten Regeln des Museums zum Trotz soll man die Exponate anfassen. Schließlich bleibt die Zeitung, auch wenn jetzt zum Kunstobjekt erhoben, immer noch ein Alltagsgegenstand, der benutzt werden soll. Der Geruch, das Knistern und Rascheln, das Spezielle einer gedruckten Zeitung schweben, trotz oder gerade deswegen, über den Tischen. So breiten sich fast stakkatohafte Wiederholungen, von immer denselben Geschehnissen und Ereignissen der ausgewählten Tage, von denen man dort lesen kann, wie ein Flickenteppich über die viel beschworene Informationsflut, geben Kontur und sparken oftmals alles andere als Joy.
Einer tatsächlichen Informationsflut wird man im zweiten Teil der Ausstellung ausgesetzt. In dem Video 1 January 1970 – 21 March 2018 · H O W B E I T · Guilty feet have got no rhythm · Keçiboynuzu · AS IS · MurMur · I measure every grief I meet · Taq u Raq · A piercing Comfort it affords · Stitch · Made in Fall · Yes. But. We had a golden heart. · One day soon I’m gonna tell the moon about the crying game (2018) zeigt Cennetoğlu ihr komplettes Archivmaterial, das sich seit 2006 bis zum 21. März 2018 auf ihren mobilen Endgeräten angesammelt hat. Alles ist dort zu sehen. Ohne Gewichtung, Ordnung oder Sortierung. Recherchematerial neben Privatbildern ihrer Tochter. Alles, was man halt so ansammelt im Laufe etlicher Jahre, wird hier heruntergerattert. Das ist phasenweise auch banal und langweilig und die 22 Tage, die es brauchen würde, um das gesamte Material zu sichten, wird man kaum aufbringen wollen. Doch genau dieser stete Strom an Daten fügt sich ein, in Facebook und Instagram, die beständig dazu auffordern, Bilder von vor einem Jahr als Erinnerung wieder und wieder zu veröffentlichen und die Gegenwart im Licht des Vergangenen zu baden. So vermeidet man Zukunft und schnitzt weiter am Mythos seiner selbst. Es ist eine präzise Gegenüberstellung, die sie mit diesen beiden Arbeiten erschafft. Eine Gegenüberstellung, die deutlich zeigt, wie sich der Umgang mit Ereignissen bewegt und manifestiert, welche Dynamiken er annehmen und wie er sich physisch präsentieren kann.
Zusätzlich gibt es in der Ausstellung zwei räumliche Interventionen, die einem fast entgehen könnten. Die Oberlichter der Bel Etage sind mit jeweils grüner, gelber und roter Folie verklebt (A problematic’ triad?: Yellow Red Green (2015/19)). Die gemeine Betrachter*in denkt dabei erst mal an die Ampel, aber die Farben beinhalten auch noch eine andere Symbolkraft: Es sind die der kurdischen Flagge. Eine Erinnerung an den noch immer andauernden Konflikt zwischen Kurden und Türken und der Anerkennung der Existenz des Ersteren durch Letzteren. Auch hier geht es um Repräsentanz und Sichtbarkeit.
Dazu passt die direkt gegenüberliegende Arbeit, die wie ein Damoklesschwert bedrohlich und unheilverkündend über der Ausstellung schwebt. Da hängen 23 schwarze Luftballons, die man sonst kennt, um fröhliche Nachrichten, wie „Happy Birthday“ clever zu inszenieren. Bei Cennetoğlu steht da: “Ich weiß zwar, aber dennoch”. Ein Satz, den der französische Psychoanalytiker Octave Manonni aufruft, um die Struktur der Verleugnung, die dem Fetischismus bei Freud innewohnt zu beschreiben. Die Luftballons werden während der Ausstellungsdauer an Luft verlieren, irgendwann als Satz nicht mehr lesbar sein, palimpsestartig verwischen und wie Artefakte ihrer selbst, in sich zusammenfallen. Die Beweglichkeit von Sprache, die Veränderbarkeit von Kontexten und Sichtweisen bildet sich so ab. Wo sich Fragen nach der Bewertung und Gewichtung von Nachrichten vermehrt stellen und die Fragen nach dem, was wir bewahren sollen und wie, immer drängender werden, kann diese Ausstellung zeigen, dass mit dem Blick zurück vielleicht auch der Blick nach vorn geschärft werden kann. Und dass der Zweifel dennoch in jedem einzelnen Buchstaben immer mitschwingt. Denn, ganz ohne Fake News Geheule, muss man sich fragen „wissen wir wirklich“?
Banu Cennetoğlu 6. Juli – 10. Noveber 2019 Kuratiert von Anna Goetz