Der neue Mensch sucht seine Wohnung
Die Ausstellung zum Neuen Frankfurt
Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt
06–05–2019
by Maximilian Wahlich

Siedlung Niederrad (Zickzackhausen). Courtesy: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, S7Wo12, Dr. Wolff & Tritschler

Wir schreiben von einem gesellschaftlich gemachten Konstrukt.
Es handelt sich um ein männliches Subjekt.
Einst tanzte er frei von seiner Nacktheit im seichten Wind.
Seine Arme schienen in den dichten Blüten der Luft aufgefangen. Der knabenhaften Körper schwang leichter, getragen von lichter Freiheit.
Doch kam sein Schicksal nicht ohne die romantische Dramatik des 19. Jahrhunderts aus: In der Pubertät ermordete er den Vater. In Jugendjahren versprach er sich der Gesellschaft, wurde ihr Ideal und schließlich wurde er zur utilitaristischen Norm erhoben, atmete ideologienverseuchte Luft und erwuchs zum heroischen Mann, der im Kriege fallen sollte – im Namen der Nation.
Der „Neue Mensch“ wuchs heran. In der derzeitigen Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum handelt es sich bereits um den jungen Mann, der in der Ausstellung in einer Plastik von Georg Kolbe greifbar wird. Nach seiner jugendfrischen Liebelei schien er sich nun familiär etablieren zu wollen. Er suchte sich und seiner Liebe eine Bleibe. In der Logik damaliger Wohnungsnot ist es wohl seine selbstverständliche Pflicht, in einen der modernen Plattenbauten einzuziehen: Vielleicht ist ja eine der neuen Wohnungen von Mart Stam in der Siedlung Hellerhof frei oder es gibt noch Platz in der Siedlung Höhenblick mit Terrassenweitblick zur Niddaaue?
Kaum eingezogen stellten sich bereits erste Fragen nach der Einrichtung – das Paar möchte modern wohnen und die alten, grünen Plüschsofas mit kratzigem Stoffbezug hinter sich lassen. Stofflich soll es erst gar nicht werden – die bürgerliche Handschrift gilt bei dem selbstbewussten Paar nicht mehr viel. Der alte Pomp des Interieurs war passé. Die dunklen Möbel wurden ausrangiert, die Aussteuer war unattraktiv geworden und so stöberte die kleine Familie durch das Register der städtischen Hausrat GmbH. Gekauft wurden Möbel aus einer Linie: Spartanisch und darin besonders vorbildlich streben diese Möbel in die Fläche, recken sich hinauf. Sie scheinen dehnbar wie die Silhouetten des seinerzeit neuen Yogas.

Das Neue Frankfurt. Monatsschrift für die Probleme moderner Gestaltung, 3. Jahrgang, Februar 1929. Courtesy: Verlag Englert und Schlosser, Frankfurt am Main

Das Reinigen der Möbel, von Benjamin in seinem Passagenwerk als wahrer Fetischdienst der Frau zitiert, wurde nun durch utopische Versprechen weggefegt: Von nun an sollten die alltäglichen Wege innerhalb der Wohnung um ein Vielfaches kürzer werden. Den wirtschaftlichen Nutzen erkannte Siegfried Kracauer schon 1927: „Nicht das Menschliche wird in den neuen Wohnungen unmittelbar freigesetzt, sondern eher der Mensch des heute geltenden Wirtschaftssystems, der asketisch sein muß, wenn er ehrlich sein will.“ Bauen, Wohnen und der architektonische Raum wurden in diesem Prozess organisiert.
Das Positive an der ökonomischen Maxime war, dass damit möglichst vielen Menschen gleicher Raum zugänglich gemacht werden sollte. Die Lösungsdevise lautete, mit reproduktiven Verfahren (Henry Ford) einer ebenso wachsenden Bevölkerung zu entsprechen.
Mit der Zeit kippte dieser Anspruch zusehends in das Verlangen die Bevölkerung mit dem „Neuen Menschen“ zu erziehen. Er wurde zur Norm – eine Norm, deren Maßstäbe immer höher gesetzt wurden. Schon im Kindesalter mussten diese Ansprüche über die Architektur der neuen Schulbauten infiltriert werden.

Siedlung Römerstadt – Wohnzeile mit Ladengeschäft in der Hadrianstraße, um 1928 Foto: Hermann Collischonn, Copyright: ernst-may-gesellschaft e.V., Nachlass Rudloff, Inv. 10.30.01

Bald musste die Familie wegziehen und das ahnten wohl auch die Konstrukteure der neuen Städte, als sie sich in adretten Villen niederließen und dort wohlwollend das Konzept für die breite Masse zeichneten. In den kommenden Jahren wurde der „Neue Mensch“ immer mehr von der ubiquitären Schlichtheit reguliert, den weißen Wänden drangsaliert und den ostentativen Möbelformen überboten. Am Ende wurde er unsichtbar hinter lauter Zahlen und Statistiken.
In der Ausstellung im DAM wird dieser „Neue Mensch“ wieder sichtbar, über seine bauliche Gegenwart. Ein Band an Zitaten an der Ausstellungswand veranschaulicht wie dieser Menschentyp von den Forderungen, die an ihn gestellt werden, zerrissen wird.
In der Zwischenzeit scheint der „Neue Mensch“ entweder im Zweiten Weltkrieg gefallen oder recht alt geworden zu sein. Vielleicht fand er in Gestalt der 68er sein Fortbestehen und erträumt nicht mehr als die idyllischen VW-Busreisen durch Italien und die günstigen Mieten vergangener Studientage? Womöglich schwelgt er nun in der Vergangenheit und lebt in der schmucken Altbauwohnung im Nordend. So schließt oder öffnet auch die Ausstellung mit heutigen Bau- und Sanierungsprogrammen in Frankfurt.
Neuer Mensch, Neue Wohnung
Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925 – 1933

23. März – 18. August 2019
Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43
60596 Frankfurt am Main