Die Echtheit der Emotion
Anja Kirschner und David Panos
Schaufenster, Kunstverein München
13–06–2020
by Franziska Linhardt

Schaufenster, Kunstverein München, 2020, installation view. Courtesy: Kunstverein München e.V.; photograph: Sebastian Kissel

Wenngleich der Münchner Hofgarten seit langem als „öffentlicher Raum“ propagiert wird, lässt sich die ursprüngliche Funktion seiner Architektur für den „Hof“ erahnen: Unbefugte draußen zu halten und so den Adel vom Schwelgen und Einklang im angelegten Parknatur nicht abzulenken. Streng reguliert ist nicht nur der Rhythmus der den Hofgarten säumenden Arkadenstruktur, die als klassizistischer Flaniergang zum überdachten Schlendern einladen soll und nach einer Sensibilität für ihre Geschichte verlangt. Bisweilen zurückgezogen und thronend hat sich hier 1823 im ersten Stock der Münchner Kunstverein eingenistet, dessen architektonische und ideologische Positionierung in den vergangenen Jahrzehnten aus verschiedenen Perspektiven reflektiert wurde.
Sein Schaufenster aber gliedert sich in die über Jahrhunderte genutzten Präsentationsflächen der Geschäfte und Etablissements unter der Arkade ein. In ihm – wie auch auf der Website des Kunstvereins – werden seit September 2019 unter der gleichnamigen Serie in wechselndem Turnus Videoarbeiten internationaler Künstler*innen gezeigt. Bislang waren dort Videos von Patricia L. Boyd, Andrea Büttner oder Vanalyne Green zu sehen, die zwischen 1989 und 2013 entstanden sind. So unterschiedlich die thematischen Schwerpunkte und Narrative erscheinen mögen – von der medialen Konstruktion von Männlichkeit, zu Gesten des Tauschhandels oder der politischen Selbstorganisation – ist ihr gemeinsames Medium eines, das irritiert. Es ist geradezu ironisch, das ausgerechnet das Bewegtbild nun die Bewegung, das analoge Flanieren unterbricht.

Anja Kirschner and David Panos, Living Truthfully Under Imaginary Circumstances, 2011, video stills. Courtesy: the artists and Hollybush Gardens, London

Schaufenster, Kunstverein München, 2020, installation view. Courtesy: Kunstverein München e.V.; photograph: Sebastian Kissel

Eine Unabhängigkeit von der (eigenen) Begrenztheit des Körpers und der Institution definiert ihre Präsentation, die gerade von akuter Relevanz ist. Denn das Schaufenster als On- und Off-Site fungiert hier als permanent zugänglicher Raum – rezipiert werden kann jederzeit, auch wenn der Münchner Kunstverein über Wochen geschlossen hat(te). Als gleichwertiges Format begleitet das Schaufenster die Institution, als ihre äußer(st)e Ebene kommuniziert es den Kunstverein in ein „Außerhalb“ und steht in wechselseitiger Korrespondenz mit seinen Inhalten und Programmen. Als Plattform entspannt das Schaufenster das hierarchische Gefälle einer spezifischen Kulturprogrammatik und als Membran überträgt es die visuellen und auditiven Komponenten der gezeigten Arbeiten.
Aktuell schallen unter anderem mutierende Feedbackloops simpel wirkender Beobachtungen und Reaktionen wie „You don’t know / I don’t know / You don’t know / I don’t know“ durch die digitale wie analoge Glasschicht. Sie sind Teil der Videoarbeit Living Truthfully Under Imaginary Circumstances (2011) von Anja Kirschner und David Panos, in welcher sie mittels eigenen und historischen Filmmaterials den verschiedenen Modi und Methoden von Performance und zwischenmenschlichen Interaktionen nachgehen. Ursprünglich für eine Doppelkanal-Video-Projektion und verschiedenen Monitoren konzipiert, ist sie im Kunstverein zusammenhängend auf einem Fernsehscreen im Schaufenster zu sehen. Der Fokus liegt auf drei jungen Schauspieler*innen, die sich jeweils im Dialog repetitiv Sätze hin und her werfen – eine Referenz an die Improvisationsübungen des einflussreichen Schauspiellehrers Sanford Meisners, die auf intensiven Wiederholungen und Beobachtungsfeedbacks basieren, um eine sofortige Reaktion und Emotion zu stimulieren. Als Gründungsmitglied des sich in den 1930er Jahren formierenden Group Theatres in New York in den von der Great Depression zerrütteten USA, lehrte Meisner dort seine Methode. „Don’t act, don’t fake, don’t pretend, and don’t anticipate – allow your instincts to play truthfully“. Ziel ist es, durch die Widerspiegelung des Gegenübers und „leere“, aber gefühlsechte Worte „natürlichste“ und „authentischste“ Affekte in der Darstellung zu generieren.

Schaufenster, Kunstverein München, 2020, installation view. Courtesy: Kunstverein München e.V.; photograph: Sebastian Kissel

In ihrem Video integrieren Kirschner und Panos Material und dokumentarische Filmausschnitte von 1985, in denen Meisner seine selbstentwickelte Methode propagiert und im Kontrast dazu, als alter Mann, umso mehr auf den eigenen Körper und seine Vulnerabilität zurückgeworfen scheint. Trotzdem prägt sein eigentümliches Training bis heute Generationen berühmter Schauspieler*innen. Das wird auch in der anschließenden Aneinanderreihung von Filmausschnitten deutlich, in welcher Kirschner und Panos mit dem totalen Wiedererkennen der großen Blockbuster- und Arthousefilme seit den 1950er Jahren spielen, mit ihren ikonischen Szenen, mit ihren Stars. Von Cameron Diaz über Diane Keaton, Tom Cruise und Michelle Pfeiffer sind sie alle dabei und führen in ihrem Kollektiv an aufeinanderfolgenden Szenen förmlich auf, was das Repertoire einer*s „guten“ Schauspieler*in definiert. Wenn dann auch noch ein Jack Nicholson mit einem Robert de Niro Tischtennis spielt, der Ball wie ihre gegenseitigen Reaktionen und der Kameraschnitt hin und her springen, verbildlicht sich jene Methode Meisners gleich auf mehreren Ebenen.

Schaufenster, Kunstverein München, 2020, installation view. Courtesy: Kunstverein München e.V.; photograph: Sebastian Kissel

Anja Kirschner and David Panos, Living Truthfully Under Imaginary Circumstances, 2011, video stills. Courtesy: the artists and Hollybush Gardens, London

„Acting is Reacting“ – Panos und Kirschners rauben den Schauspieler*innen ihre Kontexte„Acting is Reacting“ – Panos und Kirschners rauben den Schauspieler*innen ihre Kontexte, sie sind auf sich selbst oder vielmehr auf ihre Abhängigkeit von und die Reaktion auf ihr Gegenüber zurückgeworfen, die im Hin und Her fast hypnotisch ist. Nur in der Entfremdung ist es möglich, „echte“ Emotion in einem imaginierten Umfeld darzustellen und zu verkörpern. „Living Truthfully Under Imaginary Circumstances“ – die immer wieder artikulierte Aussage Sanford Meisners wird hier ebenso zum Titel von Kirschners und Panos‘ Videoarbeit.
Mit kollektivem Anspruch steht das Group Theatre gerade in den 1930er Jahren – beeinflusst durch Konstantin Stanislawskis „Method Acting“-Technik in Moskau – für eine unübliche und zeitweise auch unmögliche Praxis, auf der Bühne politische Umstände direkt widerzuspiegeln und so auf schwere ökonomische und gesellschaftliche Krisen zu reagieren. Der (Wahrheits-)Anspruch durch Emotion hat sich über die Jahrzehnte auch in das kommerzielle Kino und Theater und seine Player eingeschrieben. Diese Methodik scheint daher immer noch noch immer präsent, aber kann sein Anspruch auch aktuell sein? Inwiefern das authentische Gefühl und subjektive Stimmungsbilder auf den Bühnen dieser Welt – insbesondere im Zeitalter der „Post-Wahrheit“ glaubhaft Kritik symbolisieren und vermitteln können, gilt es in einem semi-öffentlichen Ort wie dem Münchner Hofgarten zurechtzurücken und zu befragen.

Anja Kirschner and David Panos, Living Truthfully Under Imaginary Circumstances, 2011, video stills. Courtesy: the artists and Hollybush Gardens, London

Anja Kirschner und David Panos – Living Truthfully Under Imaginary Circumstances
4. Mai – 14. Juni 2020

Schaufenster
Kunstverein München
Galeriestraße 4
80539 München
Online
Seit September 2019 wird die Reihe „Schaufenster“ als Onsite- und Online-Serie des Kunstverein München kuratiert von Gloria Hasnay.