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Hotel Theory (After Wilhelm and Sophie)
Le Méridien Parkhotel, Frankfurt
14–10–2019
Es wirken zwei scheinbar antagonistische Kräfte. Mit voller Gewalt steht das Hotel als pulsierender Ort regulierter und regulierender Vorgänge. Getaktet, normiert und durchgeplant, nimmt es Gäste in sich auf, um sie, nicht allzu viel später, wieder ihren jeweiligen Zielen folgend, verköstigt und wohl erholt in den städtischen Raum zu entlassen. Die Lobby und das ihr angeschlossene „HUB“ (dt. Zentrum) samt Barbereich dienen folglich als architektonischer Ausgangspunkt dieses Verköstigungs- und Wohlfühlkomplexes und verbinden den historischen Teil des Le Méridien Parkhotels mit dem modernen Erweiterungsbau. Gleichzeitig deutet der Eingangsbereich mit Sitzgelegenheiten und gedämpfter Hintergrundmusik auf seine geschäftige Gemütlichkeit hin. Man kann beides: verweilen oder in adäquater Eile weiterziehen. Das international agierende Hotel offenbart sich als Marke, die den ästhetischen Ansprüchen von Menschen aus allen Teilen der Welt Genüge tun muss – visuell, akustisch, haptisch.
Der andere hier tätige Akteur ist die Kunst. Nicht nur als Zierde an der Wand, hat ihr die Gesellschaft über die Jahrhunderte einen Sonderstatus zuerkannt. Einen gedanklichen Schutzraum, so die Annahme, aus dem heraus sie größere Themenkomplexe zur Debatte zu stellen vermag. Gerade in den letzten Jahren wurde dabei der kulturelle Mehrwert freier Kunst immer wieder vehement betont, ja verteidigt könnte man meinen.[1] Kunst besäße nicht nur das Potential der eigenen Souveränität, sondern stünde gar in der Pflicht, die Grenzen gesellschaftlicher Konventionen auszuloten, indem sie ihre Unangepasstheit in Form und Inhalt proklamiert. Und obwohl die Allgemeingültigkeit solcher Aussagen nicht zuletzt durch die Verstrickungen von Kunst und Kapital als kompromittiert gilt, wohnt dem künstlerische Produkt noch immer eine einzigartige gesellschaftliche Bedeutung und mediale Authentizität inne, das es von anderen, profanen Gegenständen des Alltags unterscheidet.
In diesem Spannungsfeld der Kräfte entstand nun zum dritten Mal eine Ausstellung als Kooperation zwischen dem Le Méridien Hotel Frankfurt, Künstler*innen der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste - Städelschule und Studierenden des Masterstudiengangs der Curatorial Studies. Erklärtes Ziel dieses gemeinschaftlichen Projektes ist es, lokale Kunstschaffende zu fördern und die junge Kunst mit den Räumlichkeiten des Hotels in Dialog treten zu lassen. Die aktuelle Ausstellung Hotel Theory (after Wilhelm and Sophie) bezieht sich dabei lose auf Wayne Koestenbaums gleichnamiges Buch von 2007 sowie auf das Gründerpärchen des ehemaligen Parkhotel Kaiserhof, Wilhelm und Sophie Gömöri, dessen Gebäude heute das Le Méridien beherbergt.
Betritt man das Hotel, wird man von einer großzügigen Lobby empfangen, deren Interieur durch den standesgemäßen Empfangstresen und eine markante Lichtdramaturgie geprägt ist. Zugleich ist dies aber auch der Beginn der Ausstellung und schnell wird klar: die Opulenz des Ortes fordert die Aufmerksamkeit des Publikums heraus und knabbert an der Autonomie der ausgestellten Kunstwerke. Hier, links vom Eingang, markiert ein kurzer Wandtext und ein Gästebuch mit einleitendem kuratorischem Statement den Beginn der Werkpräsentation. Bereits das Format des Gästebuches, so schmeichelhaft der Inventarsprache des Hotels entlehnt, lässt die zu erwartende Schlagrichtung der Hoteltheorie nach Wilhelm und Sophie erahnen.
Der Blick wandert auf die gegenüberliegenden Wand zu Shaun Motsis Klavierkörper aus MDF-Platten Untitled (2018). Dieser schwingt sich elegant in den Raum und ist in seiner reinen Form nicht allzu ungleich zu den nierenförmigen Sitzgelegenheiten, die paarweise in der Eingangshalle verteilt sind. Untitled eignet sich den Kontext des Hotels formalistisch und inhaltlich an. Zwar als hölzerner Leerkörper konzipiert, wirkt seine Präsenz nicht fehl am Platz. Ganz im Gegenteil, ist das typische Piano in der Lobby visueller und kultureller Marker für den gehobenen Standard des Etablissements, der Genuss des Pianospiels gleicht einer mondänen Geste.
„The sound of a piano casts forth or invents a room, a space around the sound“
Shaun Motsi lässt die Assoziationen in seinen Arbeiten – die zweite, Untitled (2019), ist als dekonstruierte Variante der anderen – wie Saiten eines Instruments anklingen, indem er den physischen Körper der Gegenstände sowie ihre symbolischen Werte als Teile eines tief verzahnten Referenzsystems versteht. Die richtige Komposition erzeugt Objekte, die den persönlichen Projektionen Spielfläche bieten und gerade dadurch über unsere artifizielle Welt Aufschluss geben können.
Neben dem homogenen Artefakt, locken Ölgemälde, die den Raum zu beiden Seiten auskleiden. Mit sechs Bildern wird ein aktueller Querschnitt durch Babette Semmers malerische Praxis gezogen. Die abgebildeten Szenen, die teils in flächigen, teils in in kurzen Pinselstrichen artikuliert werden, inszeniert die Künstlerin mit einem meist fiktiven Charakteresemble, das in diesem Ausstellungskontext um das Hotel-Ehepaar Gömöri ergänzt wird. In Trab, Trab Gömöri! (2019) reitet der als Pferdeliebhaber bekannte Hotelunternehmer in scheinbarem Dämmerzustand durch das eheliche Schlafzimmer. Semmer nimmt diese biografische Randnotiz über Wilhelm Gömöri auf und interpretiert sie als malerische Anekdote. Die Farben erinnern dabei an den zu Lebzeiten Gömöris überall in Europa aufkommenden Expressionismus. Pointiert und humorvoll erzeugt sie eine Fusion von Hotel- und Kunstnarrativen, wodurch beide in ihren jeweiligen Wahrheitsbehauptungen in Frage gestellt werden.
Dreht man sich von den Gömöris in Öl auf Leinwand weg zur Lobbymitte, bemerkt man einen untypisch tief gehängten Kronleuchter. Die erste Beobachtung von Emilie Viktoria Kjærs I saw you shaking hands, no. 2 (2018/19) fällt ähnlich aus, wie bei Motsis Untitled: Ein Objekt, das sich visuell trefflich in das Ökosystem Hotel einfügt. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass die Arme des Leuchters, die bauchig in den Raum ragen, aus Textil gefertigt sind. Es sind feine Stoffe, die in Handarbeit zur fertigen Leuchterform zusammengefügt, genäht, drapiert und arrangiert wurden. Die zarten Elemente bewegen sich beim Passieren des Objektes in der Luft. Entsprechend auffällig spielt die Eisenkette mit, an der das Werk befestigt ist. Alle Materialien entsprechen dem gebräuchlichen Inventar eines Hauses dieser Art und stehen diesen gleichzeitig dichotomisch gegenüber. In transition (2019) geht die Künstlerin einen anderen Weg. Ausgehend vom Textil eines Oberbetts, schafft sie einen jalousienartigen Lichtschutz, der im HUB installiert ist. Hier skizziert die Künstlerin den Faltenwurf des Gewebes mit handgearbeiteten Stickereien nach, und lädt dazu ein, die Oberflächenbeschaffenheit eingehender zu erforschen und die Distanz zwischen Betrachtendem und Werk auf ein intimes Minimum zu reduzieren.
„Sleep invents a room. The hotel room would not exist if sleep did not need it.“
Auf dem Weg zu den Aufzügen, die die Besucher*innen in die oberen Etagen des 1970 errichteten Neubaus befördern, passiert man vier Fotoarbeiten von Paul Levack. Die Titel Tokyo, Paris, Frankfurt am Main oder New York City (alle 2019) verorten die teils eindeutigen, teils unklaren architektonischen Referenzen in den Fotografien geografisch. Der serielle Aspekt der Arbeiten reproduziert sich in der immer gleichen digitalen Schichtung des Künstlergesichts über ebendiese urbanen Marker. Wieder möchte man meinen, das Sujet der Landschafts- und Architekturfotografie wäre schon seit Jahrzehnten in den Hotelräumen dieser Welt bis zum ästhetischen Tode durchexerziert worden. Levacks Arbeit beginnt allerdings dort, wo der herkömmliche Dekorabzug endet. Sie nehmen ihn zwar wie ein künstlerisches Brachland an, überwuchern und verästeln seine visuelle und interpretatorische Beschränktheit aber sogleich. Schicht um Schicht kreiert Levack Hybridarbeiten, die über das klassische Fotografieformat hinausgehen. Auch die aufwändigen Materialbeschreibungen auf den Labels geben Hinweis darüber, dass hier eine Verschiebung stattfindet. Abzug, Passepartout, Rahmen und Glas sollen sich bei Levack zu einer ästhetischen und konzeptuellen Einheit fügen.
Die letzte Station von Hotel Theory (after Wilhelm and Sophie) bleibt nur jenen Besucher*innen vorbehalten, die tatsächlich ein Zimmer des Gästehauses in Anspruch nehmen. Kanal 12 der hauseigenen Programmauswahl zeigt Jakob Brugges Videoarbeit A History of the Instant Replay (2016-19) in Dauerschleife. Knapp 7 Minuten lang, ist dieser Sendeplatz für das Werk von jedem Hotelzimmer aus abrufbar und dürfte bei den entspannungsbedürftigen Fernsehzuschauer*innen für Irritationen sorgen. Wie ein digitaler Fremdkörper im sonst so feinsortierten Unterhaltungsmedium, starren grobpixelige Augen den Betrachtenden entgegen. Die Found Footage Aufnahmen zeigen Reaktionen von Stadiongänger*innen bei amerikanischen Sportevents, die in den Spielpausen von den dortigen Kameras aufgenommen und auf den riesigen Bildschirmen in der Arena öffentlich gezeigt werden – eine harmlosere Variante des Spektakel, das unter dem Begriff der „Kiss Cam“ zu einem berühmt berüchtigten Ritual dieser Großveranstaltungen geworden ist. Als solches fixiert Brugge das Geschehen jedoch weniger auf örtlicher, als viel mehr zeitlicher Ebene, indem er den Moment der Selbsterkenntnis, der sich in der Mimik der gefilmten Personen einschreibt, als Kontinuität hintereinander ablaufen lässt. Überraschte Blicke, die sich über die wenigen Sekunden Berühmtheit innerhalb dieses kleinen Stadionkosmos momentan in Schock oder ekstatische Freude wandeln.
„“I must accomplish great things!” shouted Liberace, alone in his hotel room. Career dependence unnerved him. He thought, I don’t want to care about fame, but I can’t avoid striving for it. Quiet is what I need. Appreciate sunsets and tractors. Stay away from stars.“
Mit ihren strukturellen und referentiellen Eigenheiten, dekliniert Hotel Theory (after Wilhelm and Sophie) die Modalitäten von Hotel- und Kunstvokabular und besetzt die entstehenden Brüche und Bindungen mit künstlerischen Interventionen. Mal lauter, mal leiser, mag die suggerierte Nähe beider Elemente zuweilen eine Frage des subjektiven Geschmacks bleiben, eine klare Haltung der Künstler*innen und Kurator*innen lässt sich bei den Setzungen jedoch durchaus ablesen. Der zu erwartende Kampf beider Kräfte wird in dieser Ausstellung zu einem Tanz, bei dem offen bleiben darf, wer führt und wer folgt. Letztendlich trifft es das Zitat von Koestenbaum bereits im Gästebuch auf den Punkt:
„Do you check into a hotel? Or does the hotel condition check into you?“
[1] Vgl.: Rautenberg, Hanno: Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus. Berlin: Suhrkamp 2018.
Alle restlichen Zitate sind aus Wayne Koestenbaum, Hotel Theory, 2007, New York, Soft Skull Press
Hotel Theory (after Wilhelm and Sophie) 13. Mai 2019 – 13. März 2020 Kuratiert von Dennis Brzek, Klara Hülskamp, Junia Thiede und Eike Walkenhorst
artists Jakob Brugge, Emilie Viktoria Kjær, Paul Levack, Shaun Motsi, Babette Semmer
Le Méridien Parkhotel Wiesenhüttenplatz 38 60329 Frankfurt am Main