Neben den etablierten Positionen der Gegenwartskunst erwartet das Publikum des Städel Museums derzeit die jüngste Generation an aufstrebenden Künstler*innen. Die Absolventenausstellung der benachbarten Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule findet unter dem Titel Air Conditioned im postmodernen Museumsanbau von Gustav Peichl statt. Damit öffnet sich eine für das Städel Museum seltene Perspektive auf die aktuellste Kunstproduktion. Die Graduiertenschau stellt neben dem alljährlichen Rundgang das zweite Highlight im Kalender der Kunsthochschule dar.Für die meisten der 20 Absolvent*innen bildet diese Ausstellung als erste museale Werkpräsentation den bisherigen Höhepunkt im kunstakademischen Werdegang, dem eine internationale Karriere folgen kann.
So darf man auf das zukünftige Schaffen von Kristin Reiman gespannt sein, die sich für ihre Arbeit The Drowse (2019) an das Format der Oper heranwagt und das Publikum auf eine audiovisuelle Reise durch ihre eigenen Gedanken mitnimmt. Sie führt einen poetischen Dialog mit sich selbst und stößt im Sprechgesang an die Grenzen des Denkens, der Logik und der Wachsamkeit. Die begleitenden Aufbruchsmomente ersticken immerzu in einer fortschreitenden Resignation über die eigene Antrieblosigkeit und Ermüdung. Die Zwei-KanalTonspur wird dabei in Form von geschickt gesetzten Untertiteln im abgedunkelten Raum visualisiert. Wer sich auf den Sitzsäcken niederlässt, kann sich der Schlafoper gänzlich hingeben.
Mit einer aufwendigen Skulptur lenkt Xenia Bond den Blick auf ihre bildhauerische Präzisionsarbeit. Die Künstlerin stellt mit How memory cells work (2019) einen fiktiven molekularen Nährstofftransport innerhalb des menschlichen Körpers dar, der an utopische Architekturentwürfe der 1960er Jahre erinnert, in denen das Automobil als Botschafter für eine bessere und schnellere Zukunft diente. In unbeweglichen Materialien bringt sie ihre Miniatur-Autos und deren vermeintlichen Beförderungsprozess zum Stillstand. Beton, Stahl und ein altes Grabmal lassen dabei jeden Fortschrittsgedanken, dem das menschliche Gehirn gewachsen sein könnte, versteinern.
Diese beiden Arbeiten, die unterschiedlicher kaum sein könnten, bilden den Auftakt und den Abschluss des Ausstellungsparcours. Malerei, Performance oder Videoinstallation – die Ausstellung stellt unter Beweis, dass sich zeitgenössische Kunst an den unterschiedlichsten künstlerischen Medien bedient. Breit gefächert sind auch die Themenkomplexe, mit denen sich die Studierenden in ihren jeweiligen Fachklassen, unter anderem geleitet von Künstler*innen wie Haegue Yang oder Tobias Rehberger, auseinandergesetzt haben. Nun vereinen sich die Werke im Museum – an einem Ort, der Künstler*innen wie auch Kurator*innen mit institutionellen Rahmenbedingungen und finanziellen Richtlinien konfrontiert. Mit Air Conditioned spielen die Künstler*innen auf klimatisierte Museumsräume an und hinterfragen den Prozess der Anpassung an das etablierte Kunstsystem nach dem freien Kunststudium. Air Conditionend führt dem Publikum vor Augen, dass erst der sterilisierte Ausstellungsraum die materiellen wie immateriellen menschlichen Erzeugnisse zu Kunstobjekten erhebt. Er konserviert sie und negiert damit letztlich ihre Lebendigkeit.
Den Prozess einer solchen musealen Aneignung beleuchtet Helena Hasson in einer unscheinbaren, aber pointierten Geste. Ihre teleskopartige Konstruktion IF I (2019) saugt sich von außen an eine kleine Fensterscheibe fest. Von innen ist ein Diamant sichtbar, der sich den Ausstellungsbesuchenden entgegenstreckt. Es handelt sich um einen Diamantenschneider, der kurz davor zu sein scheint, das Glas zu brechen. Das kostbare Wertobjekt klebt förmlich an der Fassade des Anbaus – ungesichert und unklimatisiert. Helena Hasson reflektiert damit nicht nur die vermeintliche Zugehörigkeit von Objekten zum musealen Kanon. Durch die Abzeichnung ihres eigenen Körpers in das Kunstwerk verhandelt sie auch ihre eigene Rolle als Künstlerin und Mitspielerin des Kunstsystems. Nicht zuletzt steht die Frage im Raum, wer eigentlich darüber entscheidet, was ins Museum gehört.
Dagegen ließ sich Niwat Manatpiyalert von dem inspirieren, was bereits im Museum ist. Er rückt eines der Hauptwerke des Städels in den Mittelpunkt seiner Arbeit Dietrichstraße 6 (2019).[PL1] Max Beckmanns Frankfurter Hauptbahnhof – das Sehnsuchtsmotiv, das der Expressionist 1943 im Amsterdamer Exil malte – liegt als Poster auf einem Podest wie ein Gimmick aus. Auf der Rückseite steht ein Gedicht des Absolventen geschrieben – eine Hommage an erlebte oder imaginierte Erinnerungen an die zurückliegenden Jahre an der Städelschule. Ob es sich bei dem Werk um eine Kritik an musealen Vermarktungsstrategien oder etwa an künstlerischen Aneignungstechniken handelt, bleibt offen.
Eingebettet sind die Kunstwerke von Air Conditioned in die Ausstellungsarchitektur der vorherigen Schau im Untergeschoss des Peichl-Baus, die nun als Ruine von den Absolvent*innen eingenommen wird. Die venezianisch angehauchte Architektursprache und die lila gestrichenen Wände aus Tizian und die Renaissance lassen erahnen, dass es die Künstler*innen sowie die beiden Kurator*innen Il-Jin Choi und Paula Kommoss mit einer nicht ganz leichten Aufgabe zu tun hatten. Denn wo meist der White Cube als das vermeintlich neutralste Konzept für eine gleichberechtigte Präsentationsform für zeitgenössische Kunst dient, färbt die starke Präsenz der violetten Ausstellungswände auf die einzelnen Werke ab.
Atmosphärische Wirkungen entstehen beispielsweise bei José Montealegres Baum-Skulptur, die sich in seiner Installation Low Chart (2019) erhebt und in ihrer zentralen Positionierung Assoziationen an einen venezianischen Innenhof wach werden lässt. Sóley Ragnasdóttirs symbolreiche Mixed-Media-Malereien bilden wiederum farblich spannungsreiche Bezüge und Brüche mit der Ausstellungswand. In ihrer Serie Untitled (2017–2019) wird das Publikum unter anderem von kreatürlichen Augen angestarrt. Inhaltlich fügt sich Jakob Brugges kritische Auseinandersetzung mit US-amerikanischer Politik bedeutungsvoll in den einstigen Backstage-Bereich der Tizian-Ausstellung ein. Seine Arbeiten Team Player (2019), Morning Glory (2019) oder Suburban Bliss (2019) beschäftigen sich mit Donald Rumsfeld, dem umstrittenen ehemaligen Verteidigungsminister der USA. Fixiert in Bilderrahmen, wie sie zur Beweissicherung in Gerichtsverhandlungen Anwendung finden, präsentiert der Künstler imitierte Kleidungsstücke des als Kriegshetzer geltenden Politikers. An der Wand lehnend wirken die Arbeiten dabei wie zeitweise abgestellt.
Diese Beispiele beweisen, dass die verzweigte Ausstellungsarchitektur es ermöglichte, für jede Arbeit die passende Nische zu finden. Trotzdem scheint bedauerlich, dass sich die jungen Künstler*innen für ihren ersten Großauftritt offensichtlich an eine derart prägnante Raumästhetik anpassen mussten. Die einzelnen Werke werden im Zusammenspiel mit der lila Wand mit einer auratischen Stimmung versehen und stehen dabei mitunter in einer visuellen Konkurrenz zueinander. Die noch sichtbaren Bohrlöcher aus Tizian und die Renaissance werfen die Frage auf, ob die Produktionskosten für neue Wände – oder zumindest für eine neue Wandfarbe – vom Museum nicht bereit gestellt werden konnten. Es bleibt daher zu hoffen, dass den Absolvent*innen kommender Graduiertenausstellungen die Möglichkeit einer freieren Entfaltung geboten wird. Dies wäre sicherlich auch im Sinne Johann Friedrich Städels, der die gemeinsame Gründung der beiden Einrichtungen vor über 200 Jahren initiierte.
Air Conditioned 20. Juni – 14. Juli 2019 kuratiert von Paula Kommoss und Il-Jin Atem Choi
artists Immanuel Birkert, Xenia Bond, Jakob Brugge, Harry Chapman, Olivia Coran, Edi Danartono, Onur Gökmen, Siri Hagberg, Stian Hansen, Helena Hasson, K-K, Valentina Knežević, Niwat Manatpiyalert, José Montealegre, Ivan Murzin, Max Negrelli, François Pisapia, Sóley Ragnarsdóttir, Kristin Reiman and Julian Tromp
Städel Museum Schaumainkai 63 60596 Frankfurt am Main