Vielleicht sollte man anfangen Roboter anhand ihrer Beschränkungen zu betrachten, um die Angst zu verlieren, als Mensch ersetzbar zu sein. Gegenwärtige Mensch-Maschine-Interaktionen beruhen auf Nachahmungen menschlichen Verhaltens, in der Annahme, dass Vertrautes sich am besten verstehen lässt. Im Bereich der Kunst beißt das Kreativitätspotenzial der K.I. jedoch auf Granit. Oder zumindest scheint die Angst der Künstler*in, von einem Roboterarm abgelöst zu werden, geringer als etwa bei Beschäftigten in der Automobilindustrie. Auch das K.I.-Gemälde Edmond de Belamy, welches 2018 beim Auktionshaus Christie’s versteigert wurde, riss das bereits mehrmals zum Tode verabschiedete Medium nicht unmittelbar in ein Reflexionsmoment 2.0.
Die Ausstellung 'Jetzt! Junge Malerei Deutschland', die vor kurzem noch im Museum Wiesbaden, im Kunstmuseum Bonn und in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen war und letzten Freitag in den Deichtorhallen Hamburg eröffnet, lotet das Medium Malerei nicht anhand seiner Entgrenzung aus. Das Ausstellungskonzept reflektiert die Malerei in ihrer positiven Begrenztheit innerhalb der Fläche – Jetzt! ohne die begriffliche Ergänzung der malerischen Erweiterung. Die inhaltliche Stärke liegt in der Neuverhandlung und Wiederbelebung dessen, was Malerei darstellen kann. Den Blick losgelöst zu lassen von Qualitätsmerkmalen einer Kanonisierung des Tafelbildes, fällt trotzdem schwer. Kann Malerei einfach nur sein? Die Ausstellung möchte den Betrachter*innen den Status quo der gegenwärtigen Malerei zeigen und einen Überblick verschiedener inhaltlicher Auseinandersetzungen mit dem Medium geben. Die Gewichtung in der Auswahl der 53 Maler*innen erstreckt sich überwiegend auf den abstrakten Bildraum, der das Medium dahingehend schwer aus dem Vorwurf, beliebter Gegenstand des Kunstmarktes zu sein, entkommen lässt. Auch die jeweiligen akademischen Hochschulgütesiegel verstärken einen elitären Eindruck, der die inhaltliche Betrachtung der Malerei vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Digitalisierung nur bedingt in den Vordergrund bringt. Nur – was hat die Maler*in, was K.I. nicht hat?
Ein Kunstwerk – und im Speziellen ein Gemälde – entsteht nicht ohne Zeit und Raum. Es kann ein gesteuerter oder unkontrollierter Arbeitsprozess sein, aus der Notwendigkeit einer spezifischen Raumsituation entstehen, autobiografische oder individualistische Einflüsse haben oder aus einem „Zur richtigen Zeit am richtigen Ort Sein“ entwachsen. Wenn diese Systematik schon für den Menschenverstand schwer nachvollziehbar ist, wie soll dies dann in einen Algorithmus gefasst werden, sodass eine Maschine danach handeln kann? Die Annahme schließt nicht aus, dass Künstler*innen nicht auch auf Erfahrungswerte oder antrainierte Abläufe zurückgreifen, nur können sie unkontrollierter auf diese einwirken. Die Möglichkeit der Reflexion und Kursänderung während des Arbeitsprozesses ist für eine Maschine nicht möglich, aber ein überaus wichtiger Faktor bei Kunstschaffenden.
Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn man die erste Schicht auf einer Leinwand Ina Gerkens wäre? Ihre energetische Malerei Untitled (After laughter) (2019) ist von einem ständigen Drüber und Drunter geprägt, bei dem jede Farbschicht mit der jeweiligen Übermalung scheinbar d’accord sein muss – ob sie nun will oder nicht. Wie eine Art malerisches Manuskript lassen sich Gerkens Arbeiten lesen, bei denen es durchaus gewollt ist, dass die ersten Farbspuren und -flächen, oftmals nichtmehr sichtbar, ein subtiles Empfinden für die Farbtiefen der Malerei erahnen lassen. Gerade die Authentizität des Farbauftrags, ob gestisch sichtbar, fast maschinell wirkend oder dekonstruiert, erzeugen greifbare Momente, die sich auf eine menschliche Körperlichkeit übertragen lassen. In diesem Sinne hinterfragt die Ausstellung das Medium der Malerei aber auch als authentisches oder materialisiertes Display zur Welt – als Gegensatz zum digitalen Bildschirm – und spiegelt eine gegenwärtige Sehnsucht nach Materialität und Körperlichkeit. Zwischen den täuschend glänzenden Displays, auf denen sich nicht mal mehr die Buchstaben der Tastaturen abnutzen. Woran erkennt man eine Vergänglichkeit, wenn das Material keine Spuren der Abnutzung hinterlässt?
Mit viel Körpereinsatz und Übertragung auf das Material zeigte sich bis Anfang diesen Jahres, den Besucher*innen die transparente und ortsspezifische Skulptur Conditions (2019)von Karla Black in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main. Inmitten der Rotunde des Ausstellungshauses erstreckte sich ein riesiger transparenter Zellophankreis, der mit einer Materialmasse aus Vaseline, Körperlotion, Glasscherben, Blattgold und Farbpulver beschichtet wurde. Die transparente Skulptur wurde an den umliegenden Säulen des Hofes mit Klebeband befestigt und an den Rändern leicht nach oben gezogen. Das Setting erweckte den Eindruck einer mikroskopisch vergrößerten Zellkultur aus einer überdimensionierten Petrischale.
Trat man ganz nah an die Skulptur heran, suggerierte sie das Bild eines fragilen Hautfilms, der durch die Falten der Zellophanfolie, noch verstärkt wurde. Vaseline, die unter anderem zur Wundheilung eingesetzt wird, erzeugt in ihrer Überführung als Skulptur den Eindruck ihrer eigentlichen Verwendung als Heilmittel. Während die Arbeit an einigen Stellen geradezu empfindlich wirkte, war die „Haut“ an anderen mit Farbpartikeln und Glasscherben gerade zu und strahlte eine gewisse Brutalität aus.
Karla Black erzeugt in Conditions eine Spannung, die sich innerhalb eines Materials und dessen Assoziationsrahmen abbildet. Dabei verwischt sie die Grenzen zwischen klassischen Materialien der Bildhauerei, konventionellen Körperpflegemitteln und Alltagsutensilien und überführt diese nicht zuletzt auch in eine malerische Bildsprache, die sich im oberen und geschlossenen Bereich der Rotunde noch verstärkt herausbildet. Spuren des Verwischens finden sich ebenso in materialisierter Form auf den dortigen Glasscheiben wider. Unterschiedlich cremefarbige Lippenstifte sind auf das Fensterglas aufgetragen und händisch verrieben, teils stark verdichtet, teils flüchtig wirkend. Die Arbeit Known Throughout (2019) wirkt wie ein Farbfilter, der sich beim Betrachten von Conditions vom Obergeschoss der Rotunde vor das Auge legt. Die Flüchtigkeit eines Moments kann dabei so schwer wirken, dass einem die eigene Endlichkeit vor Augen geführt wird. Die Kunstwerke von Karla Black verweisen auf eine Vergänglichkeit, die sich auf poetische Weise auf das Menschsein übertragen lässt. Nichts ist für die Ewigkeit, jede Materialität unterliegt ihrem Verbrauch.
Eine weitere Form der körperlichen Übertragung von Material auf Leinwand – im Sinne einer stetigen Veränderung als Konstante des Wandels – beleuchtete die Schirn Kunsthalle unter dem Schlagwort 'Pionierin des abstrakten Expressionismus' bis Mitte Januar. Die Ausstellung macht sichtbar, dass Lee Krasner als Malerin fortwährend nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten gesucht hat und sich hierbei auch stets auf das eigene Werk bezog und es weiterentwickelt. Dieser Vorgang spiegelt sich besonders in ihren „collage paintings“ wider, in denen nicht verkaufte Leinwände, zerrissene Schwarz-Weiß-Zeichnungen und Zeitungen von ihr verarbeitet worden sind. Auch verworfene Zeichnungen ihres Ehemannes Jackson Pollocks inszenierte sie auf der Leinwand neu. Krasner entwickelte eine Collagetechnik, bei der die Malerei den aufgeklebten Versatzstücken ebenbürtig begegnet.
Im Sommer 1956, vor dem tödlichen Autounfalls Pollocks, begann Krasner die neue Werkserie Prophecy, die sie wenige Wochen nach der Beerdigung fortsetzte. Sie kommentierte: „Die Malerei lässt sich nicht vom Leben trennen. Es ist eins. Es ist, als würde man fragen: Will ich leben? Meine Antwort ist: Ja – und ich male.“ Laut ihr lässt sich das also nicht so einfach voneinander trennen: Malen ist Leben. Leben ist Atmen. Atmen ist Malen. Doch trotz ihrer ständigen Neuerfindung blieb Krasner lange Zeit im Schatten ihres Mannes. Nach dem Tod Pollocks zog sie1957 in dessen Atelier, wo die Werkserie Night Journeys entstand. Zum ersten Mal überstiegen die Malereien bei weitem ihre eigene Körpergröße. Als wäre die Leinwand geschlagen worden, zeichnen sich Farbhiebe und Spuren des intensiven und gestischen Farbauftrags ab und sind ein Protokoll von Krasners immensen Körpereinsatz. Als Malerin forderte sie die Veränderung immer wieder aufs Neue heraus – eine unermüdliche Kämpferin, die in der Ausstellung eine postume Anerkennung erfährt. Ihr einstiger Kunstprofessor, Hans Hofmann, sagte in einem als Abwertung formulierten Kompliment während des Studiums zur ihr: „Das ist so gut, dass man nicht merkt, dass es von einer Frau gemalt wurde.“ An Hofmanns despektierlicher Bemerkung bemerkt man vor allem eine unreflektierte geschlechtliche Selbstüberschätzung, die weit entfernt war von „gut“.
K.I., die mit Literatur arbeitet, ist inzwischen bereits so weit ausgebildet und mit Datenbanken gefüttert, dass die Abgrenzung zu Autor*innen bald nur noch durch Kennerschaft möglich ist. Gegenwärtige Präsentationen wie die in den großen Ausstellungshäusern Deutschlands beschwören geradezu das Körperliche, das Intuitive, das Spontane – vielleicht auch das Reale. Doch was geschieht, wenn die Simulation an diese Stelle tritt? Vielleicht wandelt sich da Gesellschaftsbild durch technologische Erneuerungen soweit, dass es in mehreren Jahrzehnten dann heißt: „Das ist so gut, dass man nicht merkt, dass es von einem Menschen gemalt wurde.“
Jetzt! Junge Malerei in Deutschland 14. Februar – 17. Mai 2020