Zwischen den Polen
Manuel Stehli
Galerie Schierke Seinecke, Frankfurt
04–01–2019
by Carina Bukuts

Manuel Stehli, temple, 2018, oil on canvas, 40 x 50 cm. Courtesy: the artist and Schierke Seinecke, Frankfurt

Sprich auch du,
sprich als letzter,
sag deinen Spruch.
Sprich
Doch scheide das Nein nicht vom Ja.
Gib deinem Spruch auch den Sinn:
gib ihm den Schatten.
– Paul Celan, Sprich auch du
Als Gegensatz bezeichnet man ein Verhältnis äußerster Verschiedenheiten. Zwei Pole, die nicht weit genug voneinander entfernt liegen könnten. Doch sie ziehen sich an. Sie ziehen sich an, gerade weil sie gegensätzlich sind. Der Magnetismus durchbricht die Grenzen des Unvereinbaren und beweist die Notwendigkeit, sich mit dem Gegensatz seiner selbst zu verbinden.
In der zweiten Strophe von Sprich auch du fordert der Dichter Paul Celan eine Sprechweise ein, welche vor der Scheidung in Affirmation und Negation halt macht. Es ist ein Sprechen, das zwischen den gegensätzlichen Polen verortet ist. Ein Sprechen, das sich auch in den Gemälden von Manuel Stehli wiederfindet: Körper wenden sich voneinander ab und zeitgleich einander zu, Augen bleiben verschlossen während der Schoß sich entblößt, Blicke schauen aneinander vorbei während die Körper sich nah sind. Manuel Stehli setzt seine Figuren bewusst den Gegensätzen aus, um dadurch den Ort zwischen diesen zu erreichen. In dem Gemälde Order (2018) manifestiert sich dieses „dazwischen“ in Form einer Pause. Ein Mann sitzt mit dem Rücken zum Betrachter, die Arme auf Stuhl und Tisch aufgestützt, der Oberkörper frei, der Kopf nach rechts geneigt. Der Unterkörper und Torso werden von innenarchitektonischen Elementen zusammenhalten, doch es genügt ein kleiner Eingriff, eine sanfte Neigung des Kopfes, um diese vermittelte Stabilität in Frage zu stellen. Der Körper wird von seiner passiven Haltung in den Zustand einer bevorstehenden Aktion versetzt. Während etwas gleich im Begriff ist zu passieren, hat Manuel Stehli in Order die Pausetaste gedrückt. Er lässt damit nicht nur seine Figur in diesem Moment des Dazwischens verharren, sondern auch den Betrachter.

Manuel Stehli, 'wait a second', 2019, exhibition view, Schierke Seinecke, Frankfurt. Courtesy: the artist and Schierke Seinecke, Frankfurt

Während die Rückenfigur in der Romantik als Projektionsfläche des Betrachters dient und mit Sehnsuchtssymbolik verhaftet ist, stellen sich die Rückenansichten in den Gemälden von Manuel Stehli dem Betrachter meist in den Weg. Besonders deutlich zeigt sich dies an At the door (2018), indem die Figur nahezu den gesamten Bildraum einnimmt. Der Mann steht wortwörtlich im Mittelpunkt und die gesamte Komposition scheint auf ihn zuzuführen, jede Linie auf seinen Körper zu deuten und doch passiert nichts außer dem Ausharren in einer Pose. Es ist eine selbstbewusste Pose, nahezu ein Sich-Aufbauen und eine klare Geste gegen die tradierten Vorstellungen dieses Bildmotivs. In anderen Gemälden benutzt Stehli die Sicht auf den Rücken, um soziale Beziehungen zu verhandeln. In Debatte (2018) bilden drei Männer eine Gruppenformation, die so dicht beieinandersteht, dass der Betrachter sich geradezu von der Situation ausgeschlossen fühlt, demgegenüber wird er in Backyard (2017) fast schon in die Dreiecksbeziehung hineingezogen. Manuel Stehli benutzt diese Strategien von Nähe und Distanz, um die Figuren in seinen Bildern wie auch deren Betrachter in einen Limbuszustand zwischen Exhibitionismus und Voyeurismus zu versetzen und dadurch die Objekt-Subjekt-Beziehung dieses Geflechts zu hinterfragen. Die Atmosphäre der Ambivalenz, die in seinen Arbeiten erzeugt wirkt, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Diese Ambiguität findet sich auch in Aldea (2018) wieder, in der sich zunächst auf einer kleinformatigen Leinwand einzelne, monochrome Farbflächen zur Architektur erheben zu scheinen. Der Titel Aldea (deutsch: Dorf) suggeriert einen Zusammenhang zwischen den singulären Bauelementen, doch der Blick auf das Bild verrät eine andere Realität. Die geometrischen Formen erscheinen zwar auf dem gemeinsamen Grund einer wüstenartigen Landschaft, zeitgleich lösen sich die einzelnen Formationen aus dem Gesamtgefüge und es erfolgt eine graduelle Abkehr vom Betrachter. Während der trapezförmige Baukörper links im Vordergrund komplette Einsicht in den Innenraum gewährt, blickt man bei dem nächsten beinahe nur auf die Außenwand.

Manuel Stehli, order, 2018, oil on canvas, 180 x 150 cm. Courtesy: the artist and Schierke Seinecke, Frankfurt

Manuel Stehli, 'wait a second', 2019, exhibition view, Schierke Seinecke, Frankfurt. Courtesy: the artist and Schierke Seinecke, Frankfurt

Mit jedem weiteren Element, das Stehli im Bildraum platziert, weichen die dreidimensionalen Körper bis nur noch monochrome, sandige, braune Flächen übrig bleiben. Eine Berufung auf die Ursprungsform. Je kontrastreicher die Setzungen im Bild werden, desto stärker offenbaren sich diese als Mittel, um die Flächen voneinander zu isolieren. Mit dieser Isolation wird deutlich, dass dieses Bild keine Architektur oder Landschaft darstellt, sondern ein Portrait des Zwischenraums ist. Das Auge soll zwischen den Räumen, zwischen der ruinenartigen Architektur, in der Leere spazieren gehen. Bei diesem Spaziergang kommt das Auge schließlich an dem Ort an, an dem Manuel Stehli es haben möchte: an einen Raum zwischen den Polen. Einem Raum, in dem der Schein das Sein zum Tanzen auffordert und eine Sprache gesprochen wird, die Nein nicht von Ja scheidet.
Zwischen den Polen erschien zuerst in Manuel Stehli. so far, 2018, Verlag Künstlerhaus Bethanien
Manuel Stehli – wait a second
15. November 2018 – 9. Januar 2019
Galerie Schierke Seinecke
Niddastraße 63
60329 Frankfurt am Main