Zwischen Zähnen und Zärtlichkeit
Nathalie Djurberg und Hans Berg
Schirn Kunsthalle, Frankfurt
25–03–2019
by Greta Wilger

Nathalie Djurberg & Hans Berg, Worship, 2016, stop motion animation, video, music. Courtesy: Nathalie Djurberg & Hans Berg / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Auch und gerade in schlammigen Schuhen sind Besucher*innen derzeit in der Schirn Kunsthalle Frankfurt willkommen. Das schwedische Video- und Soundkünstlerduo Nathalie Djurberg und Hans Berg erzeugen einen Raum, in dem man Luft holen kann, wenn die alltäglichen Masken das Innere zu ersticken drohen. „Cheer up“ mahnt das Gedicht, welches die Treppenstufen zur Ausstellung A Journey through Mud and Confusion with small Glimpses of Air hinaufleitet. Zu einer Reise durch Dunkelheit und bedrückende Süße.
Empfangen werden die Besucher*innen von einem hellen Raum, klassisch weiße Wände und zurückgenommene Architektur beherbergen im Zentrum eine große Gruppe von Plastiken zum Umrunden. The Parade (2013) zeigt ein farbenfrohes Miteinander von rund 80 verschieden großen Vogelfiguren. Umrahmt wird die Installation von fünf Videos Nathalie Djurbergs, durchzogen von der elektronischen Musikkomposition Hans Bergs. Sie leitet als Aufmacher die Thematik vieler anderer Arbeiten ein. Die Vögel in ihrer Abstammung vom Dinosaurier und das Ei als Symbol des Ursprungs verweisen die Betrachter*innen auf sich selbst zurück. Die Innerlichkeit der Gefühle einer Mutter, die Euphorie eines kindlich erfreuten Krokodils und die ekstatische Gewalt an einer Frau, demaskierte Wünsche, monströse Seiten des eigenen Selbst, die sich von verdrängten Emotionen nähren und ungefragt zu Akteuren unseres Handelns werden – gegenüber anderen und uns selbst. Surrealismus und Psychoanalyse grüßen wissend lächelnd.

Nathalie Djurberg & Hans Berg, One Need Not Be a House, The Brain Has Corridors, 2018, stop motion animation. Courtesy: Nathalie Djurberg & Hans Berg / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Die Arbeitsweise, in der Djurberg ihre Figuren und Stop-Motion-Videos kreiert und in der Berg letztere seit 2004 mit musikalischen Kompositionen erweitert, ist intuitiv; es gibt weder Regie noch Drehbuch. Der Gang durch die Ausstellung nimmt diese Unmittelbarkeit auf und übersetzt sie in einen verzweigten Aufbau verschiedener Raumkonstruktionen ohne Reihenfolge. Vom ersten Raum der Vögel kann der Weg nach links oder rechts eingeschlagen werden, die Wahlmöglichkeit zieht sich weiter und vervielfältigt sich im Dunkeln. Das Licht wird dämmrig und auf punktuelle Beleuchtung reduziert, die Wandfarbe matt schwarz. Linker Hand türmt sich eine keimende, schattenwerfende Kartoffel auf, überdimensional und begehbar. Sie verengt den umliegenden Raum zu dunklen Gängen, die das Suchen eines eigenen Weges provozieren. The Potato (2008) lässt die Besucher*innen über drei verschiedene Zugänge in höhlenartige Ausbuchtungen treten, wo je eines von drei Videos gezeigt wird. Die intime Abgeschiedenheit dieses Ausstellungsteils schleicht durch und um die Kartoffel in den nächsten Raum, wo sie sich einen Weg zwischen der dichten Vegetation überlebensgroßer Blumengebilde bahnt. The Experiment wurde erstmals 2009 auf der Biennale in Venedig gezeigt und gewann dort den silbernen Löwen. Ähnlich wie in The Parade handelt es sich um mannigfaltige Plastiken, deren Bedeutung durch Videos und Sound unterstützt und erweitert werden. Hier bietet der Ausstellungsraum jedoch nicht nur Plattform, sondern wird durch den Einbezug der Wände und die Durchkreuzbarkeit des Figuren-Dickichts als eigene Welt erfahrbar.

Nathalie Djurberg & Hans Berg, Dark Side of the Moon, 2017, stop motion animation, video, music. Courtesy: Nathalie Djurberg & Hans Berg / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Nathalie Djurberg & Hans Berg, 'A Journey through Mud and Confusion with Small Glimpes of Air', installation view, 2019. Courtesy: Schirn Kunsthalle Frankfurt; photograph: Norbert Miguletz

Wie einer traumartigen Welt gleicht der Gang durch die Ausstellung dem Bewegen durch das eigene Innere. Wiederholt gibt es Nischen und Räume unterschiedlicher Beschaffenheit zu entdecken, die durch Sound oder aufflackernde Bilder auf sich aufmerksam machen. Ob man sich den Gefühlen und der möglichen Belastung, die einige dieser Erkundungen mit sich bringen können, hingeben möchte, ist in dieser dunklen, anonym anmutenden Sphäre jedem selbst überlassen. Der phantasmagorische Irrwald aus Emotionen, durch den man sich bewegt, scheint mit The Experiment räumlich übersetzt. Das Suchen und Hingeben führt von dort zunächst zurück zum „Ursprung“, zu den Vögeln. Man kommt zurück ins Helle, erholt sich von dem Aufenthalt im Inneren, erhascht einen der angekündigten „Lufthauche“ innerhalb des Schlamms und der Verwirrung. Die Helligkeit zieht sich noch etwas weiter, bis in den nächsten Raum, der die Vermenschlichung von Tierwesen und ihre Beziehung zum Menschen als Thema miteinbezieht und für den folgenden Teil einleitet.
Erfüllt von animierten Bildern eines orgiastischen Kindergeburtstags wird man erneut ins Dunkle entlassen. Leider verliert sich die bisher gelungene Beschwörung emotionaler Versunkenheit ab hier in eine bloße Aneinanderreihung von Videoinstallationen, die weniger als erfahrbare „Reise“ anmutet, als einem stichprobenartigen Vorstellen weiterer Werke. So werden in zwei angrenzenden Räumen eine erneut gegenständliche und eine in ihrer Abstraktion herausstechende Videoarbeit gezeigt. Die einnehmende Wirkung der einzelnen Arbeiten wird nicht geschmälert, jedoch stehen sie sich hier isoliert gegenüber. Am Ende des Ganges gelangt man nun in einen Raum, der zwei frühe Einzelarbeiten Djurbergs im Kontext einer gemeinsamen und aktuellen Herausforderung beider Künstler zeigt. It will all end in Stars (2018) soll das Erleben der präsentierten Traumwelten in Form von Virtual Reality auf einer neuen Ebene intensivieren. Leider bleibt jedoch auch hier, sobald man aus der Verborgenheit der technisch präparierten Kammer tritt, die emotionale Involvierung hinter dem dokumentarischen Charakter der Kuration zurück. Das Zusammenbringen der beiden Ansätze fokussiert die inhaltliche Thematik des sprechenden Wolfes und die Technik der Kohlezeichnung, die die Arbeiten gemeinsam haben. Vernachlässigt wird dabei die traumwandlerische Bewegtheit, die zuvor im Zentrum stand. Die Dichte der Emotionen, durch welche man sich im ersten Teil bewegte, wird hier durch das Nacheinander und Nebeneinander verwässert und verläuft in einem Suchen, das nichts mehr mit dem Ursprünglichen zutun hat.

Nathalie Djurberg & Hans Berg, Greed, 2009, stop motion animation, video, music. Courtesy: Nathalie Djurberg & Hans Berg / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Die rechte Ausstellungshälfte schließt mit einer Art Kinosaal, der, durch einen Vorhang abgetrennt, zum Betrachten dreier zusätzlicher Videoarbeiten einlädt. In der Dunkelheit verstärkt der weiche Teppichboden die sensorischen Reize der herausstechenden Stofflichkeit der Videos und bietet in der Ruhe noch einmal Gelegenheit, längeren Animationen des faszinierenden und eigenwilligen Oeuvres persönlichen Raum und Zeit zu geben. Um die Ausstellung zu verlassen geht es zurück an die Oberfläche. Dem wilden Kollektiv fantastischem Vogelgetiers den Rücken kehrend, erinnert beim Abstieg in die reale Welt erneut das Gedicht, bei all dem Schlamm um unsere Knöchel auch die Lufthauche zu spüren. Der eigene Wolf kehrt in unser Inneres zurück und bittet, nun wieder stumm, „please hold my hand“.
Nathalie Djurberg & Hans Berg
A Journey through Mud and Confusion with small Glimpses of Air

28. Februar – 26. Mai 2019
Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römerberg
60311 Frankfurt am Main
Eine Ausstellung des Moderna Museet in Stockholm in Zusammenarbeit mit dem Mart, Museo di arte e contemporanea di Trento e Roverto und der Schirn Kunsthalle Frankfurt.